Mit Googles n-Gram-Viewer kann man sehen, dass die Wendung "den Umständen entsprechend gut" in exakt dieser Schreibung um 1900 erstmals in der deutschsprachigen Literatur aufgetaucht ist und seit ca. 1970 zunehmend populär wurde. Die Wendung "den Umständen entsprechend" ist dagegen 70-80 Jahre älter und hatte 1900 bereits ihren Höhepunkt erreicht. Ihre Bedeutung lässt sich ganz klar aus dem Sinn der einzelnen Worte ableiten. Wenn man sagt, es gehe jemandem "den Umständen entsprechend", so heißt das, es geht ihm so, wie man das nach den Umständen erwarten würde.
Wenn man dagegen sagt, es gehe jemandem "den Umständen entsprechend gut", so meint man damit, dass es ihm gemessen an den Umständen gut geht. Das ist vom Sinn der Einzelworte nicht gedeckt und stößt mir auch immer wieder mal auf. Das Problem erkennt man vielleicht am deutlichsten, wenn man versucht, die praktisch nichtexistente Wendung "den Umständen entsprechend schlecht" zu interpretieren. Es ist nämlich a priori unklar, ob das auf der Basis von "den Umständen entsprechend" zu interpretieren ist (also: schlecht, wie den Umständen nach auch zu erwarten) oder als Gegenteil von "den Umständen entsprechend schlecht" (also: gemessen an den Umständen schlecht). Wenn die Umstände schlecht sind, ist das nur ein subtiler Unterschied. Sind sie gut, ist es ein erheblicher Unterschied.
Redewendungen, deren Bedeutung sich nicht direkt aus dem Wortsinn erschließt, und die diesem womöglich sogar widersprechen, sind nichts Ungewöhnliches. Meistens fangen sie mit einer ganz geradlinig ableitbaren Bedeutung an und verselbstständigen sich erst später. Wie war das in diesem Fall?
Ein Blick auf frühe Treffer für die Wendung in Google Books hilft uns weiter. Dort finden wir nämlich zweimal ein Komma: "den Umständen entsprechend, gut". (Leider hat der n-Gram-Viewer den Bug, dass man zwar nach Wortfolgen mit Punkt oder Semikolon suchen kann, aber nicht nach solchen mit Komma - auch nicht mit Tricks.) Diese Variante kam schon deutlich früher vor, scheint aber heute kaum noch üblich zu sein:
Er hatte sich auf eine Gehirnentzündung vorbereitet und sieht nun, dass er darum kommt. Auch Sellien geht es, den Umständen entsprechend, gut; ich kann heute mit leichterem Herzen zurückreiten, als die Tage vorher. (Friedrich Spielhagen, "Was die Schwalbe sang", Die Gartenlaube 1872)
Im Juli 1890 lebt er noch bei klarem Bewusstsein. Sein Zustand den Umständen entsprechend, gut, Hemianopisch. (Salomon Eberhard Henschen, Klinische und anatomische Beiträge zur Pathologie des Gehirns, 1890)
In dem alten Gartenlaube-Fund von 1872 ist zunächst nicht klar, ob das schon die moderne Wendung ist oder wörtlich zu verstehen. Dazu brauchen wir etwas Kontext: Assessor Sellien war nach einem Unfall in Lebensgefahr. Als Gotthold (der einer Gehirnentzündung Entkommene) ihn am Krankenbett besuchte und von dem Verlust einer großen Summe Geldes hörte, fiel er in Ohnmacht und musste gleich daneben gelegt werden. Da nichts in den Umständen darauf hindeutet, dass es Sellien jetzt gut gehen sollte, dürfte also bereits das moderne "den Umständen entsprechend gut" gemeint sein.
Auch der Fund von 1890 scheint so gemeint zu sein. Man könnte spekulieren, dass "den Umständen entsprechend, gut" vielleicht ursprünglich Ärztejargon war. Es liegt schließlich nahe, in einer Krankenakte den Zustand eines Kranken zunächst mit "den Umständen entsprechend" zu beschreiben und dann ggf. nachträglich "gut" oder "schlecht" zu ergänzen, wenn er sich eher im oberen oder eher im unteren Bereich der gewöhnlichen Schwankung befindet. Das könnte dann zu Ärztejargon werden, wobei man im Umgang mit Patienten und Angehörigen das "schlecht" ggf. zensierte. Auf diese Weise hätte dann nur "den Umständen entsprechend, gut" seinen Weg in die Allgemeinsprache gefunden, unterstützt von der Nähe zu "gemessen an den Umständen, gut".