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Man liest und hört heute häufig den folgenden Satz:

Er ist mir wohlgesonnen

Nun ist wohlgesonnen aber grammatikalisch nicht richtig, denn es muss wohlgesinnt heißen. Der Duden listet wohlgesonnen demnach auch als umgangssprachlich auf, in vielen Wörterbüchern gibt es wohlgesonnen gar nicht.

Wohlgesinnt wird aber in der deutschen Sprache zunehmend von wohlgesonnen verdrängt:

enter image description here Quelle: Google Ngrams

Wie ist es dazu gekommen, dass sich diese Redensart so durchsetzt, und ist es wirklich noch falsch, von wohlgesonnen zu reden, wenn es mittlerweile die Mehrheit der Deutschen tut?

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  • 14
    +1 für diese interessante Frage. Ich muss ja zugeben, dass wohlgesinnt schon falsch für mich klingt, obwohl es wohl richtig wäre.
    – Deve
    Jun 17, 2011 at 7:05
  • @Deve: genauso geht es mir auch!
    – Takkat
    Jun 17, 2011 at 7:06
  • 1
    Ist das nicht ein valider Grund für Veränderungen in einer Sprache?
    – musiKk
    Jun 17, 2011 at 8:43
  • @musiKk: die ausländischen Deutschlerner werden uns dafür hassen ;)
    – Deve
    Jun 17, 2011 at 8:53
  • 2
    Der Graph deutet daraufhin, dass das Wort von den Nazis belastet ist, bei "übel gesinnt" sieht man das besser: ngrams.googlelabs.com/…
    – Phira
    Jun 17, 2011 at 10:11

2 Answers 2

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In diesem Blogeintrag von Belles Lettres steht genau zu diesem Thema Folgendes, dem ich mich anschließen möchte:

Nur die Variante wohlgesinnt ist histo­risch rich­tig, wohlgesonnen dagegen un­histo­risch erst vor kur­zem durch eine fal­sche Ver­knüp­fung zum Ver­bum sinnen ent­stan­den.

Tatsächlich sind das mittelhochdeutsche gesinnet und das neu­zeit­liche wohlgesinnt direkt als perfek­tives Adjektiv vom Sub­stan­tiv Sinn ab­gelei­tet, so wie auch das Ad­jek­tiv gesittet nicht das Par­ti­zip zu einem nicht­exi­stie­ren­den Ver­bum sit­ten ist, sondern vom Sub­stan­tiv Sitte ab­gelei­tet ist.

Auch wenn wohlgesonnen unhistorisch und durch falsche Ana­logie ent­stan­den ist, ist es gegen­warts­sprach­lich kor­rekt.

Stilistisch kann man heute ruhigen Gewissens sowohl wohlgesinnt als auch wohl­geson­nen verwenden. Beide Formen sind korrekt und werden von Deutschsprechern ver­wen­det und ver­stan­den, ohne Jar­gon einer Spre­cher­gruppe zu sein.

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  • "Auch wenn wohlgesonnen unhistorisch und durch falsche Analogie entstanden ist, ist es gegen­wartssprachlich korrekt." Wer sagt das?? Ob nun alles als "gegenwartsprachlich korrekt" bezeichnet werden kann, was sich nur in der Umgangssprache "einbürgert" sei dahingestellt... hochsprachlich ist es darum noch nicht korrekt. Oder sollte man die vielen anderen, wenn nur weit genug verbreiteten Fehler auch als "gegenwartsprachlich korrekt" bezeichnen dürfen? Das Chaos wäre perfekt. Mehrheitliche Übetretung allein kann noch keine Regel beschließen / ändern. Etwa wie im Straßenverkehr - wenn mehrheitli
    – user2958
    Jun 2, 2013 at 10:28
  • 3
    @Elkestachel Wo würdest du dann die Grenze ziehen? Unsere Sprache/Hochsprache ist – ob man es akzeptiert oder nicht – nun ständig in Wandlung und enthält vieles, was früher anders verstanden und verwendet wurde. Manchmal wird die Sprache dadurch komplizierter, manchmal einfacher. Aber es ist jedenfalls ein Zeichen, dass sie lebt. Der Hauptzweck einer Sprache ist, dass das Gesprochene und Geschriebene verstanden wird, nicht dass sie Paragrafenreitern wie uns gefällt. ;-)
    – splattne
    Jun 2, 2013 at 11:00
  • 1
    Was soll das Adjektiv »unhistorisch« in »[ist] dagegen un­histo­risch [...] ent­stan­den.«? Wenn eine Variante in der Vergangenheit entstanden ist, dann ist das doch genau die Historie dieser Variante. Was ist daran unhistorisch? May 20, 2016 at 8:32
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Die festgeschriebenen Regeln einer Sprache geben nicht vor, wie die Sprecher dieser Sprache zu sprechen haben.

Diese Regeln sind wertvoll, wenn man eine Sprache erlernen will (für jemanden, der Deutsch als Fremdsprache lernt, aber auch für Kinder in der Schule). Aber diese Regeln diktieren nicht, wie jemand, der die Sprache schon gut beherrscht, zu sprechen hat. Anders (weil zutreffender) formuliert: Die Muttersprachler lassen sich durch Regeln in irgendwelchen Büchern nicht vorschrieben, wie sie zu reden haben.

Die Umkehrung trifft nämlich zu: Der tatsächliche Gebrauch der Sprache bestimmt, was richtig und was falsch ist, und bestimmt somit, welche Regeln zu formulieren sind.

Die Sprecher sprechen so, wie sie eben immer sprechen, und machen dabei kleine, mittlere und große Fehler (»Fehler« im Sinn von: »Abweichung von einer festgeschriebenen Regel«). Wenn ein kleiner oder mittlerer Fehler zu keiner Einbuße in der Verständlichkeit führt, wird er vom Empfänger so gut wie nie korrigiert, aber der Empfänger hört eben eine neue Variante, die er genau so gut versteht, und wenn er diese neue Variante nur oft genug hört, wird er sie möglicherweise selbst auch für tauglich halten und aktiv verwenden.

Manchmal pflanzt sich eine falsche Variante sogar wesentlich rascher und nachdrücklicher fort als die richtige, und dann verdrängt die eigentlich falsche Version die richtige Version komplett, wie das gerade gegenwärtig bei der Aussprache des Wortes »Gluten« (»glutenfrei«) passiert.

Dieses Einzahlwort (das Gluten, die Glutene) (eine Eiweißart vor allem in Weizen, die beim Brotbacken bewirkt, dass das Brot nicht bröselig, sondern klebrig wird) sollte eigentlich mit einem kurzen unbetonten u und einem langen und betonten e in der zweiten Silbe ausgesprochen werden ([ɡluˈteːn]), vergleichbar mit der Aussprache vieler anderer zweisilbriger Chemikalien (Benzin, Menthol, Propan, Arsen), die alle auf der langgezogenen Endsilbe betont werden.

Tatsächlich sprechen es aber fast alle (sogar die meisten Nachrichtensprecher) das Wort so aus, als wäre es die Mehrzahl des Wortes Glut (etwas, das so heiß ist, dass es leuchtet) (eine Glut, mehrere Gluten [ɡluːtn̩]).

Ich möchte die Situation auch mit »gewinkt« und »gewunken« im Österreichischen Deutsch vergleichen:

Lange, nachdem der Zug abgefahren war, hat Elke ihm noch immer nachgewinkt.
Lange, nachdem der Zug abgefahren war, hat Elke ihm noch immer nachgewunken.

Im Österreichischen Deutsch sind beide Varianten schon seit Jahrzehnten Teil der standardisierten Hochsprache, also beide vollkommen korrekt und gleichwertig. Der zweite Satz wird in Österreich (z.B. in einer Schule in Schärding) in einem Schulaufsatz als ebenso richtig bewertet wie der erste. Im Deutschen Deutsch ist nur der erste Satz richtig, der zweite ist falsch und wird in einem Schulaufsatz (z.B. in Passau, nur 10 km von Schärding entfernt) korrigiert, und das, obwohl links und rechts vom Inn dieselbe Umgangssprache gesprochen wird.

In beiden Ländern (auch weit weg von Schärding und Passau) wird »gewunken« in der Umgangssprache verwendet. Der wesentliche Unterschied ist, dass »gewinkt« in den meisten Gebieten Deutschlands häufiger als »gewunken« verwendet wird, während es in Österreich genau umgekehrt ist. Hierzulande würde so gut wie niemand »gewinkt« sagen, daher gilt »gewunken« in Österreich als völlig richtig. »Gewinkt« wird in Österreich eigentlich nur deswegen als korrekt angesehen, weil generell Deutsches Deutsch in Österreich fast immer als richtig gilt, auch dann, wenn im Fall von Unterschieden die deutsche Variante keine praktische Anwendung erfährt.

Der Status von »gewunken« im Österreichischen Deutsch ist ein ganz typisches Beispiel dafür, dass der tatsächliche Gebrauch der Sprache darüber bestimmt, was richtig und was falsch ist.

Im Fall von »wohlgesonnen« wird der Duden wohl irgendwann denselben Schritt gehen, denn das ÖWB (Österreichisches Wörterbuch, das ist das amtliche Regelwerk für Österreichisches Deutsch) im Fall von »gewunken« schon vor Jahrzehnten gegangen ist: Der Status des Wortes wird von »umgangssprachlich« auf »standardsprachlich« geändert werden.

Vermutlich wird irgendwann auch die weitaus häufigere (aber jetzt noch als falsch geltende) Aussprache von »Gluten« offiziell als richtig akzeptiert.

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  • Betreffend Gluten: Meine Beobachtung, in Deutschland, ist genau umgekehrt („alle“ betonen die zweite Silbe, analog zu Propen, Benzen usw.). Ebenfalls würde ich die „historisch korrekte“ Aussprache genau umgekehrt ansetzen, d.h. Betonung der ersten Silbe ist „korrekt“, da es sich eben nicht um eine chemische Kunstbezeichnung handelt, sondern um das lateinische Wort gluten (‘Klebstoff’) mit natürlicher Betonung auf der ersten Silbe. (Dagegen z.B. Arsen aus lat. arsenicum mit natürlicher Betonung auf sen.)
    – chirlu
    May 20, 2016 at 14:10
  • 1
    @chirlu: Das ist mir eine eigene Frage wert: german.stackexchange.com/q/29886/1487 May 20, 2016 at 17:35
  • 2
    Viel Text, fast nichts zu „wohlgesonnen“. Es war wohl als Replik auf Antwort von Elohim gedacht. Dass das unangemessen ist, weißt Du eigentlich, es kümmert Dich aber nicht.
    – Carsten S
    May 21, 2016 at 21:59
  • Ich habe noch nirgendwo in Deutschland gewinkt gehört, und immer wenn ich es aus historischen Gründen benütze, werde ich mit gewunken verbessert …
    – Jan
    May 26, 2016 at 10:00

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