Letzten Endes hängt es davon ab, wie Du deutsches Wort und überhaupt Wort definierst. Zur Illustration des Problems bediene ich mich folgender Wörter:
- Ball
- Korbball
- Stangenball
- Gefalt
- Düateßigän
Die letzten drei Wörter habe ich mir selbst ausgedacht. Nimm für diese Antwort an, dass niemand anderes diese Wörter jemals verwendet hat.
Ball und Düateßigän dürften in ihrer Klassifizierung unstrittig sein: Ersteres ist ein deutsches Wort, letzteres nicht. Jede Definition von deutsches Wort, die zu einem anderen Ergebnis kommt, wäre ziemlich unbrauchbar, da entweder nichts oder alles ein deutsches Wort wäre. Korbball unterscheidet sich von Ball nur dadurch, dass es zusammengesetzt ist. Es wird ebenfalls häufig verwendet, findet sich in Wörterbüchern und hat klare Bedeutungen. Es gibt viele deutsche Wörter, bei denen wir kaum noch wahrnehmen, dass sie zusammengesetzt sind, z. B. vielleicht oder Drittel.
Stangenball ist schon im Graubereich. Wie Korbball folgt es hochproduktiven Bildungsregeln (mehr dazu gleich), aber man findet es nicht in Wörterbüchern. Wenn Korbball ohne Zusammenhang steht, kann angenommen werden, dass es sich auf eines der Folgenden bezieht:
- eine Sportart, bei der ein Ball auf Körbe gespielt wird
- das Sportgerät dieser Sportart
Das Wort Stangenball hingegen ist nicht etabliert, Bestandteil des Wortschatzes, oder in Wörterbüchern verzeichnet. Dies drückt sich insbesondere dadurch aus, dass im Gegensatz zu Korbball ohne Zusammenhang deutlich weniger klar ist, wofür es steht. Denkbar ist z. B. Folgendes:
- eine Sportart, bei der ein Ball auf Stangen gespielt wird (analog zu Korbball)
- eine Sportart, bei der die Spieler einen Ball mit Stangen spielen (analog zu Fußball, Handball, usw.)
- eine Sportart, bei der die Spieler auf Stangen balancierend einen Ball spielen (analog zu Wasserball)
- Sportgeräte dieser Sportarten
- eine Kugel, die mit Stangen versehen ist
- eine Tanzveranstaltung, die irgendwie Stangen involviert
Aber nur weil es nicht gebraucht wird, ist das Wort Stangenball nicht falsch in dem Sinne, dass es in einem Text korrigiert werden müsste. Es ist eine korrekt gebildete Zusammensetzung. Dass diese als eigenes Wort behandelt wird, ist letzten Endes ein Aspekt der deutschen Rechtschreibung. Zum Beispiel im Englischen werden derartige Zusammensetzungen auf dieselbe Weise gebildet, aber vorwiegend getrennt geschrieben. Ich würde Stangenball deshalb nicht als Neologismus auffassen, sondern schlicht als Anwendung der deutschen Grammatik. Ob es sich bei Stangenball um ein deutsches Wort handelt, hängt also davon ab, ob man Verwendung als Kriterium auffasst oder nicht.
Gefalt ist aus falten in Analogie zu sehen → Gesicht, beten → Gebet usw. gebildet. Es geht noch einen Schritt weiter als Stangenball, da das Prinzip, gemäß dessen es gebildet wurde, nicht mehr produktiv (im linguistischen Sinne ist), d. h., wir nutzen dieses Prinzip nicht mehr regelmäßig und ohne groß darüber nachzudenken, um Wörter zu bilden. Stattdessen greifen wir höchstens in Ausnahmefällen und bewusst darauf zurück, wenn konventionelle Wortbildungsmechanismen und existente Wörter (z. B. Faltung oder Falte) unsere Wortschatzlücke nicht adäquat schließen. Beachte, dass Gefalt ähnliche »Probleme« hat wie Stangenball: Ohne Zusammenhang ist deutlich weniger klar als bei Gesicht, was damit gemeint ist. Im Gegensatz zu Stangenball würde ich Gefalt als Neologismus ansehen. Dieses Wort als deutsches Wort aufzufassen, bedarf sehr lockerer Kriterien.
Praxist schließlich verhält sich ähnlich wie Gefalt. Den Bildungsmechanismus (siehe auch Crissovs Antwort) mag man als etwas produktiver ansehen, aber er ist nicht so produktiv, dass wir ihn unbewusst verwenden. Wie schon Stangenball und Gefalt wird es nicht weitläufig verwendet (ich konnte zumindest nichts diesbezüglich finden) und ohne Zusammenhang ist nicht klar, wovon die Rede ist:
- jemand, der eine Praxis betreibt (analog zu Maschinist oder Flötist)
- jemand, der sich für Praxis (als Konzept) einsetzt oder es vertritt (analog zu Utopist, Perfektionist), z. B. die Anhänger der Praxisphilosophie (siehe diesen Kommentar)
- jemand, der praktisch denkt oder handelt (analog zu Spezialist, Solist, Realist)
- jemand, der Praxen aufbaut, ausstattet, o. Ä. (analog zu Novellist, Porträtist)
- jemand, der Praxen oder Praxis studiert oder untersucht (analog zu Linguist)
Ich denke, dass es schon einer sehr weiten Definition von deutsches Wort bedarf, damit Praxist sie erfüllt. Aber letztlich sind Definitionen ja kein reiner Selbstzweck, und Du musst für Dich selbst entscheiden, wieso Dich eigentlich interessiert, ob Praxist ein deutsches Wort ist. Es ist kein etablierter Begriff, bei dem Du erwarten kannst, dass er ohne Probleme verstanden wird, aber es steht Teilhabern einer Sprache frei, Wortschatzlücken zu füllen und diesbezüglich gibt es nichts an Praxist auszusetzen.