darf ich immer noch das generische Maskulinum nutzen?
Natürlich, außer wenn der (i.d.R. geschriebene und ggf. vorgetragene) Text bestimmten Richtlinien entsprechen muss, die etwa eine Redaktion oder Behörde für Dokumente aus ihrem Haus beschlossen hat (siehe unten).
wo, wie und wann benutze ich die verschiedenen Geschlechtveranschaulichungen?
In jeder Situation einen anderen?
Das hängt u.a. von der Textsorte ab. In Formularen oder Tabellen wird man sich bspw. entweder für eine Kurzschreibweise von Beidnennungen entscheiden oder geschlechtsneutrale Formulierungen verwenden. Manchmal ist es sinnvoll verschiedene Varianten zu verwenden, anderswo muss man sich einmal für eine entscheiden und diese durchhalten, was auch einen Einfluss auf die Wahl hat.
Leitfäden
Es gibt verschiedene Leitfäden oder Richtlinien für einen geschlechter-/gendergerechten/-fairen/-sensiblen Formulieren allgemeiner Sprachgebrauch im Sinne des Gender Mainstreaming, manchmal ergänzt um Regeln und Hinweise zu Illustrationen aller Art oder zu anderen Diskriminierungsgründen (Herkunft, Aussehen, Stand etc.). Fast jede Hochschule (z.B. die Uni Köln) gibt heutzutage einen eigenen heraus, die Unterschiede halten sich in Grenzen. Die meisten sind eher kurz (so 2 bis 8, manchmal rund 20 A4-Seiten) und begründen ihre Empfehlungen nicht oder nur unzureichend, sondern stellen einfach nur diverse Möglichkeiten vor (und lassen nicht bevorzugte weg).
Wirklich umfangreich (190 Seiten), durchdacht und strukturiert (Begründung, Möglichkeiten, Faustregeln, Textsorten, Stichworte) – entsprechend häufig referenziert, aber meistens schlecht abgeschrieben – ist der Leitfaden der Schweizer Bundeskanzlei. Er entscheidet sich nur etwas zu häufig dafür, Frauen bzw. das Geschlecht unbedingt sichtbar machen zu wollen, wo Konservative und Queerttheoretiker oder LGBT-Bewegte anderer Meinung wären. Der Schweiz- und Verwaltungsfokus ist erträglich.
Für deutsche Bundesbehörden gibt es u.a. das BBB-Merkblatt M19.
Der Ursprung für den deutschen Sprachraum sind die in den Linguistischen Berichten 1980 und 1981 erschienen „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ von den Vorreiterinnen des sprachlichen Feminismus in Deutschland, Ingrid Guentherodt, Marlis Hellinger, Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz.
Klassiker aus den 1990ern stammen von der UNESCO und vom Netzwerk schreibender Frauen.
Zur Abschreckung aus der ganz linken, queertheoretischen Ecke stammt ein aktuelles Papier aus der HU Berlin.
Alle diese Leitfäden lehnen das „generische Maskulinum“ ab (außer evtl. für rein juristische Personen) und bestehen oft fast nur aus Vorschlägen, wie man es ersetzen kann, um entweder auch Frauen explizit zu nennen oder Hinweise aufs Geschlecht ganz zu verstecken. Die besseren Regelwerke fordern, gerade nicht bestehende Texte im Nachhinein „durchzugendern“, sondern sie bereits initial geschlechtsbewusst zu formulieren.
Vorschläge
Das eigentliche Problem sind aber nicht maskuline Generika (der Mensch, Gast, Lehrling) und Pseudogenerika (der Leser, Kollege, Rektor), sondern dass es überhaupt feminine Spezifika gibt, die von diesen – insbesondere aber von Nomina Agens auf +er mit Verbalstamm – regulär abgeleitet werden (die Leserin, Kollegin, Rektorin, sogar Männin, jedoch nicht die *Menschin, *Gästin, *Lehrlingin), aber keine parallelen maskulinen Spezifika – und natürlich auch keine zu femininen oder neutralen Generika (die Person, das Kind).
Nur einige Fremdwörter aus Sprachen mit echtem Differenzialgenus (Guillero, Guillera; Magister, Magistra) und Komposita mit partiallexemisch determinierten Geschlecht (Fachmann, Fachfrau, Fachleute; Tennisdamen, Tennisherren) sind wirklich geschlechterparallel.
Diverse Konstrukte sind hingegen geschlechtsabstrakt, darunter überwiegend feminine, neutrale oder plurale Derivative und Komposita (die Putzhilfe, Lehrkraft, Vertrauensperson, das Personal, Publikum, Rektorat, die Stellvertretung, Belegschaft) sowie eingeschränkt substantivierte Adjektive und Partizipien (der/die Grüne, Studierende, Abgeordnete und -n, aber ein Grüner, Studierender, Abgeordneter).
Meine derzeitige allgemeine Empfehlung, die nicht den gängigen feministischen oder queeren Ansprüchen genügt, ist, Agentien mit +er ebenso zu vermeiden wie Movierungen mit dem Suffix +in(nen)!
Die Frage nach der besten Kurzschreibweise (Klammer, Schrägstrich, Binnenmajuskel, Gendergap etc.) von Beidnennungen stellt sich dann bspw. gar nicht. Allerdings erfordert das entsprechende Formulieren etwas Übung, die mir selbst noch fehlt, und die nötige sprachliche Kreativität erzeugt hier und da auch einen Neologismus, der ebenso befremden kann wie der dann sich leicht einschleichende unlebendige, entpersonalsierte Stil. Es hilft allerdings, wenn man die Pronomen man (inkl. jemand, niemand) und wer (inkl. sein) nicht verteufelt.