Orthodox
»Orthodox« bedeutet nicht, dass jemand »etwas rechts von streng gläubig steht«. Griechisch- oder russisch-orthodoxe Christen sind keine politisch rechten Christen, und sie hängen ihrem Glauben auch nicht strenger an als Katholiken oder Baptisten, Mormonen usw.
»Orthodox« bedeutet, dass die Anhänger einer Lehre, die sich im Lauf der Zeit in mehrere Strömungen aufgespalten hat, sich weiterhin an die ursprüngliche, traditionelle Auslegung halten. Im Gegensatz dazu hängen Erneuerer einer Lehrmeinung an, die nicht allein auf jahrtausendealten Büchern beruht, sondern sich auch den stetig wandelnden Gegebenheiten der Umwelt Rechnung trägt.
Mission
Nun gibt es bei allen religiösen Glaubensrichtungen Anhänger, die meinen, sie müssen das, was sie persönlich für richtig halten, unbedingt auch dem Rest der Welt beibringen.
In der milden, anerkannten Form ist das die Missionierung. Dabei geht ein Missionar hinaus in die Welt und versucht die, die seinem Glauben nicht anhängen, durch Gespräche von seinem Glauben zu überzeugen. Die Zeugen Jehova sind beispielsweise für ihre besonders intensive Missionarstätigkeit bekannt.
politisch rechts
Dann gibt es aber auch religiöse Fanatiker, die versuchen, denen, die nicht so denken wie sie, mit Gewalt ihre Anschauungen einzuprügeln, und notfalls die, die sich ihnen dabei in den Weg stellen, zu töten. Diese Tötung wird damit gerechtfertigt, dass diese Menschen ungläubig und damit minderwertig sind. Diese Idee, es gäbe minderwertige Menschen, die wegen ihrer Wertlosigkeit verfolgt und sogar getötet werden dürfen, ist, politisch gesehen, nun tatsächlich rechts.
Das hat allerdings mit Orthodoxie nichts zu tun. Die Christen, die im Mittelalter in mehreren Wellen auf ihren Kreuzzügen massenhaft Menschen abgeschlachtet haben, waren keine orthodoxen Christen, sondern Katholiken. Viele von Ihnen haben in ihrer Mordgier übrigens nicht nur Moslems und Juden, sondern auch Christen abgeschlachtet. Man wollte sich nicht lange damit aufhalten, die Religionszugehörigkeit herauszufinden, und vertraute darauf, dass Gott im Himmel ohnehin die »guten« (Christen) von dem unwerten Nicht-Christen trennen wird, und die ermordeten Christen im Himmel als Märtyrer anerkennen wird.
Ultraorthodox, ultrakonservativ
Die lateinische Vorsilbe »ultra« bedeutet »mehr« oder »darüber hinaus«. Ultraviolettes Licht ist eine elektromagnetische Strahlung mit einer Frequenz, die über die des gewöhnlichen violetten Lichts hinaus geht. Ultraschall ist die Bezeichnung für Töne, die so hoch sind, dass sie über das menschliche Hörvermögen hinaus gehen.
Wenn jemand ultra-konservativ ist, heißt das, dass er konservativ ist, und sein Konservatismus über das übliche Maß hinaus geht. Konservative Menschen versuchen althergebrachte Werte zu bewahren. Das tun ultrakonservative Menschen auch. Letztere versuchen aber gleichzeitig auch, alle Neuerungen zu verhindern, weil sie ihrer Meinung nach die alten Werte gefährden. Zum Schutz der alten Werte sind sie bereit Maßnahmen gegen die Neuerungen zu ergreifen, die von gewöhnlichen Konservativen nicht gebilligt würden.
Wenn die Werte, die von solchen Menschen verteidigt werden, religiöse Werte sind, wenn es sich also um orthodoxe Menschen handelt, dann spricht man von ultra-orthodoxen Menschen.
Abgrenzung rechts – orthodox
Ich möchte aber noch einmal herausstreichen, dass Orthodoxie und Ultra-Orthodoxie nichts mit einer politisch rechten Gesinnung zu tun haben:
Wer politisch rechts ist, ist davon überzeugt, dass es Menschen gibt, die minderwertig sind, und wegen dieser Minderwertigkeit angegriffen und eventuell sogar getötet werden dürfen. Wer politisch rechts denkt, fühlt sich also einer hochwertigen Gruppe von Menschen zugehörig.
Wer orthodox ist, denkt nicht darüber nach, ob Menschen mehr oder weniger wert sind als man selbst. Wer orthodox ist, versucht alte religiöse Lehren nach alten Interpretationen auszuleben. Das ist sehr mit Konservatismus verwandt, wo generell versucht wird, alte Werte zu bewahren (konservare = bewahren), egal ob religiös oder nicht.
Wer ultraorthodox ist, glaubt, dass die alten religiösen Werte, die er bewahren möchte, in Gefahr sind. Daraus resultiert eine Bereitschaft, diese alten Werte notfalls mit Gewalt gegen tatsächliche oder eingebildete Angreifer zu verteidigen.
Natürlich kann es dazu kommen, dass orthodoxe Menschen die Menschen, die ihre alten Werte nicht so achten wie sie selbst, für minderwertig halten, und somit rechts im politischen Sinne denken. Aber dieser Schritt ist nicht zwingend in der Orthodoxie enthalten. Im Gegenteil: Im Rahmen der Ökumene sind orthodoxe Juden, orthodoxe Christen und orthodoxen Moslems durchaus bereit, auch mit Anhängern moderner religiöser Lehren zusammen zu arbeiten.