Der linguistische Feminismus kritisiert seit mehr als 35 Jahren die deutsche Sprache für ihre scheinbar unsystematische und unfaire Geschlechtsmorphologie. Fast alle belebten Substantive können durch das Suffix +in als [+weiblich] (und [+Femininum]) markiert werden, insbesondere maskuline, die auf -er enden, z.B. Leser+in (sog. Movierung oder Motion). Es gibt hingegen keine regelmäßige Möglichkeit, ein Substantiv als [+männlich] zu markieren, aber es gibt einige Derivationsmorpheme, die ein Wort ins [+Maskulinum] zwingen, z.B. +ling mit verhältnismäßig geringer Bedeutungsänderung. Einige Substantive verfügen über einen gemeinsamen Stamm und geschlechtsabhängige Endungen, z.B. Zeug+e/+in. Substantivierte Adjektive und Partizipien ändern ihr Flexionsverhalten nicht und daher sind die Geschlechter nach bestimmtem Artikel der/die nicht zu unterscheiden, nach unbestimmten ein/eine hingegen schon, z.B. Studierend+er/+e. Daneben gibt es natürlich Paare (und mit Plural Tripel) aus völlig unterschiedlichen Lexemen, die auch in Komposita auftauchen, z.B. Kauf+mann/+frau/+leute.
Im Englischen gibt es bekanntlich fast gar kein Nominalgenus mehr – nur Ausnahmefälle wie actor / actress – und im Niederländischen sind Maskulinum und Femininum inzwischen weitgehend formidentisch, also wie in den nordgermanischen Sprachen Skandinaviens zum Utrum zusammengefallen. Luise Pusch hat schon 1984 (vielleicht als erste hinreichend öffentlich) vorgeschlagen, Maskulinum und Femininum für unspezifische Personenbezeichnungen durch das Neutrum zu ersetzen, also das Leser, das Zeuge, das Student, und für spezifische Personen das Geschlecht nur in Artikeln oder anderen Attributen anzuzeigen, also +in abzuschaffen, d.h. der/die Leser, der/die Zeuge, der/die Student.
Ich weiß, dass es auch andere Vorschläge für systematische – aber natürlich hypothetisch bleibende – Reformen des deutschen Sprachsystems gegeben hat, die analog zu +in ein männliches Morphem einführen, z.B. +on. Allerdings finde ich dazu praktisch keine konkreten, fundierten Texte abseits von Adhoc-Vorschlägen in Forenkommentaren o.ä. Eine Ausnahme ist Die Häsis und die Igelin, wo weitergehende Änderungen anhand literarischer Texte experimentell umgesetzt wurden. Welche systematischen Reformvorschläge gibt es noch?
Ich möchte hier nicht über Sinn oder Erfolgsaussichten solcher Reformvorhaben diskutieren.
Nachtrag: Das Lexikographieblog hat das Thema mal diskutiert und dabei auf Sylvain/Balzer (2008) verwiesen (din Studentnin „Indefinitum“), was auf mich einen sehr amateurhaften Eindruck macht.