Die Verwirrung stammt wohl hauptsächlich aus der Annahme
Wenn ich als heutiger Leser von der Vollziehung der Ehe in der Marienkapelle der Hofburg höre, gibt das Anlass zum Schmunzeln,
Das erste Zitat stammt aus einer modernen Biografie, die 2003 erschien.
Zu den tatsächlichen Abläufen um die Ehe zwischen Ferdinand und Anna ist historisches Wissen hilfreich:
Bei der Wiener Doppelhochzeit 1515 heiratete der 56-jährige Kaiser Maximilian I. stellvertretend für einen seiner Enkel die 12-jährige Anna von Ungarn und Böhmen. Sollte kein Ehevertrag mit einem seiner Enkel zustande kommen, würde er Anna selbst zur Frau nehmen. Dazu kam es nicht, weil Maximilian 1519 in Wels starb. Maximilians Enkel, Kaiser Karl V., fixierte jedoch am 7. November 1520 in Köln einen Ehevertrag zwischen seinem Bruder, dem späteren Kaiser Ferdinand I., und Anna. Der Ehevertrag wurde am 11. Dezember 1520 in Innsbruck bestätigt, wo sich Anna in der Zeit vor ihrer Hochzeit gemeinsam mit ihrer Schwägerin Maria aufhielt.
Die Hochzeit fand am 26. Mai 1521 in Linz statt. Der Salzburger Fürsterzbischof Matthäus Lang von Wellenburg traute die 17-jährige Anna und den 18-jährigen Ferdinand in Anwesenheit vieler hochrangiger Kleriker (Bischof und späterer Kardinal Bernhard von Cles von Trient, Bischof Christophorus Rauber von Laibach, Bischof Berthold Pürstinger von Chiemsee, Bischof Georg von Slatkonia von Wien, Probst Girolamo Balbi von Bratislava) und vieler namhafter weltlicher Führungspersonen (Herzog Wilhelm von Bayern, Herzog Ernst von Bayern, Markgraf Kasimir von Brandenburg, Markgraf Johann von Brandenburg, die Grafen von Gradisca, Siegmund von Herberstein). Die Trauung fand wahrscheinlich in der Linzer Stadtpfarrkirche statt, wo das Herz von Kaiser Friedrich III. ruht. Die Hochzeit wurde weniger aufwändig als die prunkvolle Wiener Hochzeit im Jahr 1515 gefeiert, es wurden jedoch ein Turnier und einige Waffenspiele abgehalten.
–– WP: Linzer Hochzeit
Die Geschichte wurde schliesslich geradezu vorbildhaft für komplizierteste Liebesverirrungen in Groschenromanen, da sowohl die ungarischen Stände Einwände bezüglich der standesgemäßen Verheiratung Annas äußerten (in deren Sicht hatte Ferdinand wohl ideas above his station), als auch Anna selbst zu Erkennen gab, dass sie nicht Ferdinand sondern dessen Bruder Karl bevorzugte.
Ergänzend zu den im Wikipediaeintrag bereits genannten Stufen der Eheschliessung ist noch zu ergänzen:
Auf der Heimreise von der Krönung Karls V. in Aachen unterzeichneten die Gesandten, der Gespan von Zala, Ambros Sárkány von Ákosháza, und der Geheimrat und Propst von Pressburg/Pozsony/Bratislava Hieronymus Balbus, am 7. November 1520 einen Vertrag mit Karl in diesem Sinne, und in ihrem Beisein kam es am 11. Dezember in Innsbruck zum Ringtausch zwischen Anna und (dem abwesenden) Ferdinand, wie auch zur symbolischen Eheschließung. Ludwig entsandte Stefan Werbıczi und Hieronymus Balbus als Gesandte10 nach Worms, wo sie mit dem V orsatz, die Verhandlungen fortzusetzen und die bisherigen Vereinbarungen abzustimmen, am 20. April den neuerlichen auf Anna und Ferdinand bezogenen Heiratsvertrag unterzeichneten; Ort und Zeitpunkt der Hochzeit wurden fixiert:
zu Pfingsten 1521 in Linz. Danach ernannte der ungarische König Markgraf Georg von Brandenburg, Ambros Sárkány von Ákosháza und Hieronymus Balbus zu Gesandten, die mit einer Vollmacht ausgestattet waren, welche ihnen volle Handlungsfreiheit für die Verhandlungen mit Erzherzog Ferdinand in Linz gewährte. In der Anweisung hieß es, sie sollten – was auch immer die vorherigen Gesandten bzw. Beauftragten 1520 in Köln und später 1521 in Worms in Bezug auf die Ehe seiner Schwester Anna vereinbart hätten –, die Verhandlungen fortsetzen bzw. zu Ende führen; ebenso sollten sie sich in den Bedingungen die Aussteuer betreffend einigen, ferner in all dem, was Sicherheit, Frieden und Gedeihen der beiden Länder beträfe. All das war nötig geworden, weil Karl den Erbteil Ferdinands noch fast zwei Jahre lang, bis zu den im Januar und Februar 1522 in Brüssel unterzeichneten Verträgen bald enger, bald großzügiger festzulegen bestrebt war.
–– Zoltán Csepregi: "„... ich will kain fleis nit sparen...“ – Königin Maria von Ungarn und das Haus Brandenburg", in: Martina Fuchs & Orsolya Réthelyi (Hg.): "Maria von Ungarn (1505–1558) – Eine Renaissancefürstin", Geschichte in der Epoche Karls V., Bd. 8., Münster 2007. p59-72.
Es bleibt daher festzuhalten, dass erstens nicht wirklich feststeht, wo genau denn nun einerseits nach üblichem Sprachgebrauch tatsächlich die "Ehe geschlossen" oder die "Ehe vollzogen" wurde. Andererseits is zweitens zu vermuten, dass der Autor des Eingangszitates zwar die tatsächliche Eheschliessung nach gängiger Vorstellung – beide Eheleute stehen sich persönlich gegenüber, geben Ja-wort und tauschen Ringe – erst in der genannten Ortschaft als "vollzogen" anzusehen beschreibt. Der geschlechtliche Vollzug – consummatio – der wird dann wohl tatsächlich am selben Ort, nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach in der Burg zu der die Kapelle gehört, stattgefunden haben. Angesichts der genannten Details scheint es sich lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit des modernen Autors zu handeln: Nach langem Hüh und Hott, wurde eine bereits mehrfach beschlossene Ehe – vertraglich, unter anderem auch zwischen ganz anderen Parteien als den Eheleuten, ferner symbolisch, auch geschlossen. Den sexuellen Aspekt darunter ebenfalls zu verstehen scheint fast zulässig, (es ergibt sich dann halt so), nicht jedoch bezüglich der überpräzisen Ortsangabe "in einer Kirche".