Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen
ein kleiner Mensch
und
ein klein geratener Mensch?
Ich habe versucht geraten in verschiedenen Wörterbücher nachzuschlagen, nur um die Bedeutung des Verbs festzustellen, was aber nicht besonders hilfreich war.
ein kleiner Mensch ist, was es sagt - Ein Mensch, der klein ist, u.U. auch ein Kind.
Klein geraten heisst: Hätte eigentlich größer werden sollen, ist aber entgegen aller Planung kleiner ausgefallen. Wertend ist das nicht unbedingt, ausser man betrachtet das mögliche Misslingen des ursprünglichen "Plans" als negativ.
Bei Menschen kann das nun bedeuten, dass die vom Plan abweichende Größe entweder von der betroffenen Person selbst als "Misslingen" betrachtet wird (der Mensch sich also selbst als zu klein empfindet und evtl. Komplexe deswegen hat) oder dass jemand anderes, z.B. die Eltern, deswegen unzufrieden/unglücklich sind.
Der Begriff kann als fast bedeutungsgleich mit "klein geworden" (mit einer Prise "Zufall" oder "ohne den Vorgang beeinflusst zu haben") betrachtet werden, das Verb ist geraten (ist Infinitiv, auch wenn es so aussieht wie ein Partizip) und hat mit raten nichts zu tun.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass „klein geraten“ eine Wertung beinhaltet und ein einfaches „klein“ nicht zwangsweise. Ein Kuchen ist „klein geraten“, wenn er laut Rezept oder Bild größer hätte sein müssen. Ein Kuchen kann aber auch klein sein, obwohl das Ergebnis den Erwartungen entspricht.
Vielleicht noch ein anderes Beispiel, um meine Meinung zu verdeutlichen:
Ein Kind ist vom Standpunkt des Erwachsenen klein. Das Kind kann sogar klein sein, obwohl es für sein Alter ziemlich groß ist. Klein geraten ist deshalb nicht jedes Kind, erst wenn es kleiner als die Norm ist.
Ich möchte das Augenmerk auf das Partizip "geraten" lenken, was laut Duden soviel bedeutet wie
ohne Absicht, zufällig an eine bestimmte Stelle, irgendwohin gelangen
in einen bestimmten Zustand, eine bestimmte Lage kommen
am Ende einer Herstellung bestimmte Eigenschaften aufweisen, ausfallen
Bezogen auf Dein konkretes Beispiel, kann man also von einem Menschen sprechen, der am Ende der "Herstellung", d.h. seines bisherigen Wachstumsprozesses, klein (also kleiner als der Durchschnitt) ist.
Wo ist jetzt der Unterschied zur Aussage "kleiner Mensch"? Durch den Zusatz des Partizips wird
Beispiel: mit "kleiner Mensch" muss nicht unbedingt eine körperlich kleine Person gemeint sein, es kann sich auch um ein Kind handeln. "klein" kann hier die Nebenbedeutung "jung" annehmen. Durch den Zusatz "geraten" wird das ausgeschlossen.
Dass "klein geraten" als Ausdruck an sich eine Wertung beinhaltet, sehe ich nicht. Allerdings ist die Begriffsbildung in diesem Kontext ("Mensch") ungewöhnlich, weswegen sie sich eignet, um Ironie oder sogar einen abwertenden Unterton einfließen zu lassen.
"Klein" ist eine eher absolute Aussage; ein "kleiner Mensch" wäre also - je nach Kontext - am unteren Ende der normalen Größen eines Menschen zu suchen.
"Klein geraten" ist in gewisser Weise eine Form der Verniedlichung, d.h. "kleiner als üblich" aber noch nicht "sehr klein". (Hat also absolut nichts mit "Raten" zu tun.)
Konkret: Wenn normale Männer 1,80m groß sind (Annahme), würde ich "klein geraten" bei etwa 1,65-1,70m einsortieren, und "klein" bei weniger als 1,65m. (Aber das ist eine persönliche Interpratation und hängt sehr vom Kontext ab. Spricht man beispielsweise über Kleinwüchsige, dann liegt die Messlatte sicherlich anders.)
