Der deutsche Schriftsteller Karl May hat Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem Bücher über das Leben der amerikanischen Indianer geschrieben, ohne selbst in Amerika gewesen zu sein. Er reiste zwar einmal (1908) nach New York, allerdings sind seine Bücher »Winnetou« (Bände I bis III), »Old Surehand« (alle 3 Bände), »Der Schatz im Silbersee«, »Der schwarze Mustang« usw. viele Jahre davor erschienen. Lediglich »Winnetou IV« hat er nach seiner Amerikareise geschrieben.
In diesen Büchern hat Karl May den Indianern eine größtenteils frei erfundene Kultur angedichtet, die von einer pathetischen Vorstellung von Ehre geprägt war. Diesem Ehr-Begriff entspringt das in Mays Büchern häufig erwähnte Vertrauen darauf, dass ein Indianer ein Versprechen, dass er einmal im Rahmen einer bestimmten kurzen Zeremonie gegeben hat, unter keinen Umständen brechen würde. Dieses heilige Versprechen ist das Indianerehrenwort.
Dadurch, dass die Karl May-Bücher vor allem Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts sehr verbreitet waren, und später durch diverse Verfilmungen einem noch breiteren Publikum im deutschen Sprachraum bekannt gemacht wurden, ging der Begriff »Indianerehrenwort« in den deutschen Wortschatz ein.
Der Begrifft bedeutet: »Ein Versprechen, bei dem man vor hat, es auf keinen Fall zu brechen.«
Dieser Begriff hat keinen echten Ursprung in der Kultur der amerikanischen Urbevölkerung. Das soll aber nicht bedeuten, dass Ehre und der Wille Versprechen einzuhalten, kein Teil dieser Kultur wären. Aber der Ursprung des Begriffs sind die Bücher Karl Mays, die mit der realen uramerikanischen Kultur relativ wenig zu tun haben.
Nachtrag, um einem Missverständnis vorzubeugen:
Ich glaube nicht, das Karl May selbst den Begriff »Indianerehrenwort« verwendet hat. Wer das Wort letztendlich erfunden hat, weiß ich nicht. Aber das Wort geht geht auf Mays Indianer-Darstellung zurück und wurde von Karl May-Konsumenten in Anlehnung an Mays Indianer-Bild verwendet.
Nachtrag 2:
Dieses ngram belegt recht eindrucksvoll, dass das deutsche Wort »Indianerehrenwort« weder Mark Twain, noch Karl May bekannt gewesen sein dürfte:

Die älteste Quelle, die ich finden konnte stammt aus dem Jahr 1982. Es ist das Buch »Entzug, oder, Die Angst vor der Angst von Doris J. Joachim« Aber Frau Joachim verwendet das Wort in einem wörtlichen Zitat, dessen wahren Urheber ich nicht ausfindig machen konnte. Aber wer auch immer das war: Auch die in dem Buch zitierte Person wird das Wort höchstwahrscheinlich nicht selbst erfunden haben.
Vielmehr ist anzunehmen, dass das Wort »Indianerehrenwort« 1982 bereits Teil des allgemeinen deutschen Wortschatzes war. Sehr viel früher kann das Wort aber noch nicht in Gebrauch gewesen sein, weil es sonst wohl im ngramm deutlichere Spuren hinterlassen hätte.
Fakten:
- Der Gebrauch des Wortes »Indianerehrenwort« lässt sich erst ab 1982 belegen und findet sich in einer Publikation, die nichts mit Indianern oder Ehre zu tun hat (sondern mit Drogensucht).
- Der Amerikaner Mark Twain kommt als Urheber des deutschen Wortes »Indianerehrenwort« kaum in Betracht, weil er, obwohl er die deutsche Sprache beherrschte, selbst kaum etwas in deutscher Sprache publiziert hat. Darüberhinaus starb er 1910, also 72 Jahre vor der ersten belegbaren Erwähnung des nachgefragten Wortes.
- Der 1912 verstorbene Karl May war selbst auch nicht der Urheber dieses Wortes.
- Das Mitte des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum vorherrschende Bild der Indianerkultur wurde maßgeblich von den Büchern Karl Mays geprägt. Die Verfilmungen dieser Bücher verstärkten dieses Bild noch weiter.
Insgesamt lassen diese Fakten den Schluss zu, dass das Wort »Indianerehrenwort« in Anlehnung an das Karl May’sche Indianerbild in der deutschsprachigen Bevölkerung entstanden ist. Vor allem als kulturelles Erbe der Karl May-Verfilmungen, der 1960er und 1970er Jahre.