Auf redensarten-index.de wird folgende Hypothese vertreten:
[Diese Redensart] ist nach 1970 entstanden und könnte nach Küpper(*) vom Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller geprägt worden sein. In seinem Kündigungsschreiben an Bundeskanzler Brandt 1972 kritisiert er dessen seiner Meinung nach zu starke Orientierung an der Demoskopie: "Die Regierung hat die Pflicht, über den Tellerrand des Wahltermins hinauszublicken und dem Volke rechtzeitig zu sagen, was zu leisten und was zu fordern ist. Diese von mir mehrfach empfohlene Strategie ist bisher im Kabinett nicht einmal andiskutiert, geschweige denn akzeptiert."
Ich habe im Archiv des SPIEGEL, der ZEIT und des Hamburger Abendblatts keine Verwendung der Redensart vor 1972 gefunden, dafür aber zumindest im SPIEGEL Treffer für fast alle Folgejahre. Dieses Interview, offenbar mit einem Kandidaten für Schillers Nachfolge, verwendet den Ausdruck gleich zweimal und ist der älteste Beleg für die Redewendung im Spiegel-Archiv.
Auch dieses Ngram legt nahe, dass diese Redewendung um diese Zeit in Gebrauch gekommen ist:
Google Ngram
Das macht die oben genannte Hypothese, dass es sich um eine Schöpfung von Karl Schiller handelt, in meinen Augen zumindest plausibel.
Takkat hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass in einem Buch von Arno Scholz bereits 1953 der Begriff Tellerand als Metapher für einen engen Horizont verwendet wurde:
So ist es auch jetzt wieder; ein großer Teil der Deutschen sieht wiederum nur bis zum eigenen Tellerrand.
Möglicherweise wurde Schiller davon inspiriert. Da ich ansonsten keine anderen Belege aus dieser Zeit finden konnte, halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass die Metapher damals bereits allgemein in Gebrauch war.
Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass der Begriff Tellerrand auch noch anders gedeutet werden kann denn als Teil eines Essgeschirrs (**). Der flache "Deckel" einer Mütze, insbesondere einer Schirmmütze wie der beim Militär getragenen Tellermütze, der Studentenmütze, der Schiffermütze oder der Prinz-Heinrich-Mütze, heißt Teller. In Österreich nennt man diese Mützen laut Wikipedia deswegen sogar Tellermützen. Der Rand des Mützentellers ist dann natürlich der Tellerrand, wie zu sehen an der hier zitierten Bundeswehr-Verordnung
Die Mützen werden "ohne den Mützendraht im inneren Tellerrand getragen".
Solche Mützen wurden zu Scholz' und Schillers Zeiten noch weitaus häufiger getragen als heute - durchaus möglich, dass damit auch die Bedeutung Mützendeckel für Teller noch geläufiger war.
Ja, und wessen Blick nicht weiter reicht als der Teller seiner Mütze, der hat wirklich einen sehr engen Horizont.
(*) Küpper, Heinz: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
(**) Ich möchte es wirklich als kann verstanden wissen. Ich halte diese Hypothese selbst für deutlich unwahrscheinlicher.