Gibt es andere Konstruktionen in denen das Perfekt die Zukunft beschreibt?
Umgangssprachlich wird das Perfekt oft anstatt eines Futur-Perfekt verwendet:
- Wenn sie bis morgen Mittag nicht angerufen haben, dann werde ich...
Grammatikalisch richtig - aber viel träger - ist die Konstruktion:
- Wenn sie bis morgen Mittag nicht angerufen haben werden, dann werde ich...
Prinzipiell muss man immer zwischen zwei Varianten unterscheiden:
Eine allgemeine Aussage, die sich zeitlos auf jeden Zusammenhang beziehen kann
(Nachdem ich gegessen habe, schlafe ich immer ein wenig)
Etwas in der Art meines Beispielssatzes, das sich auf einen bestimmten Zeitpunkt bezieht
Noch zu sagen wäre auch, dass das Futur Perfekt auch für Vermutungen verwendet wird, die sich auf die Vergangenheit beziehen:
- Sie werden ihren Sommerurlaub bestimmt schon beendet haben - es ist ja schon fast Herbst!
Natürlich funktioniert hier auch das Perfekt (Vermutung in der Gegenwart):
- Sie haben ihren Urlaub wohl schon beendet! Ich habe sie nämlich gestern gesehen...
Prinzipiell sollte man jedes Zeitensystem von zwei Seiten her betrachten:
'Absolute Zeiten' sind nur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wobei mit der Gegenwart sehr vorsichtig umzugehen ist - denn in Wirklichkeit existiert auch sie (fast) nicht! Jedes Ereignis liegt schon lange in der Zukunft bevor es eintritt, die Gegenwart existiert nur einen Bruchteil einer Sekunde und dann ist alles schon wieder Vergangenheit - für ewig.
Das 'grammatikalische' Konstrukt 'Gegenwart' lässt uns die verschiedensten zeitunabhängigen Dinge beschreiben:
Ich mache gerade etwas...
Normalerweise mache ich etwas...
Morgen mache ich etwas anderes...
'Relative Zeiten' sind [Präsens-]Perfekt (Vollendete Gegenwart), Plusquamperfekt (Vollendete Vergangenheit), Futur-Perfekt (Vollendete Zukunft).
Deshalb fällt es uns auch so leicht das oben gesagte sowohl mit einem Perfekt als auch mit Futur-Perfekt auszudrücken (Ökonomieprinzip). Dieses findet man in vielen anderen Sprachen auch!
Englisch hat eine glücklichere Hand mit einer sehr konsistenten Benennung dieses Konzepts:
Present-(Tense) vs. Present-Perfect-(Tense)
Past-(Tense) vs. Past-Perfect-(Tense)
Future-(Tense) vs. Future-Perfect-(Tense)
Etwas passiert 'vorzeitig - gleichzeitig - nachzeitig' ! Das hat nicht unmittelbar etwas mit 'Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft' zu tun. Zukunft ist immer nachzeitig, Vergangenheit immer vorzeitig - im Bezug auf eine flüchtige Gegenwart - aber nicht umgekehrt. 'Nachzeitig' ist nicht immer Zukunft (absolute Zukunft)!
'Romanische Sprachen' verwenden Modi und relative Zeiten viel extensiver als die deutsche Sprache. Ein Subjunktiv-Imperfekt (Konjunktiv ähnlich) kann z.B aussagen, dass etwas nachher passiert, also in der Zukunft, aber gesehen vom Standpunkt der Vergangenheit aus...
- Ich wollte dich solange begleiten, bis das Taxi kommen würde (wir wussten nicht, wann es kommen würde)
Im Gegensatz zu nur:
- Ich begleitete Dich solange, bis das Taxi kam. (wir wissen wann es kam)
Wenn du also sagst:
'Normalerweise beschreibt das Perfekt die Vergangenheit...'
stimmt das in mehreren Belangen nicht ganz. In der Hochsprache und im Schriftdeutsch verwendet man das Imperfekt um Ereignisse aus der Vergangenheit zu beschreiben. Dinge die man öfter oder wiederholend gemacht hat. Es ist eigentlich keine gute aktive Erzähl-Zeit, die eine Handlung frisch und zügig fortschreiten lässt, also eher statisch! Leider fehlt uns hier eine zusätzliche Zeitform um diese Aktivitäten auszudrücken, deshalb wird auch im Alltag so viel mit Imperfekt und Perfekt herumgemischt, ohne eigentlich ein wirkliches Konzept zu verfolgen. Wir nennen das dann aus Verlegenheit 'lokale' Unterschiede in der Anwendungen von Zeitformen :-)
Im Gegensatz eine 'Vollendeten Gegenwart' (Perfekt)
'Schau mal, ich habe das gerade eben fertig gemacht'
(-> 'Ich machte das gerade fertig ' klingt ziemlich blöd...)
Wenn man Sprache im Zusammenhang mit Zeit betrachten will ist man besser dran, wenn man die 'absoluten' und 'relativen' Zeiten als zwei getrennte Konzepte betrachtet!