Im Sprachgebrauch hat sich der Begriff »Sinneswandel« etabliert, doch kürzlich bin ich über das Wort »Sinnenwandel« gestolpert. Grimm kennt keines von beiden, dafür aber »Sinnesänderung« und »Sinneswechsel«.
Zunächst dachte ich, »Sinnenwandel« sei eine Alternative zu »Sinneswandel«, doch die Bedeutung stimmt nicht mit dem Kontext überein: Der Titel eines Buches von Michael Giesecke lautet Sinnenwandel, Sprachwandel, Kulturwandel: Studien zur Vorgeschichte der Informationsgesellschaft. Darin beschreibt der Autor die Verschiebung der Priorität der Sinne in der Gesellschaft (von einem vergleichsweise ausgeglichenen Verhältnis in vorschriftlichen Gesellschaften hin zu einer starken Betonung des Visuellen seit der Verbreitung der Schrift). Der Sinnenwandel im Titel bezieht sich also konkret auf die Sinne.
Der Sinneswandel kommt etymologisch zwar auch von den Sinnen, doch lässt er sich im heutigen Sprachgebrauch mit Meinungswechsel gleichsetzen, während Sinn diese Bedeutung nur noch in festen Wendungen (z. B. »Er handelte in ihrem Sinne«) erhält.
Bei Grimm finden sich zahlreiche Wörter, die mit Sinnes- beginnen (Auswahl):
- Sinnesänderung
- Sinnesfreiheit
- Sinneskraft
- Sinnesleer
Ebenfalls stehen dort viele Wörter, die mit Sinnen- anfangen (Auswahl):
- Sinnenblind
- Sinnenhain
- Sinnenlust
- Sinnenschärfe
Diese Auswahl spiegelt nicht den gesamten Umfang wider: Man sollte sich selbst im Grimm ein Bild machen.
Es scheint mir (tendenziell; nicht als feste Regel), als käme Sinnes- eher in Wörtern vor, die sich auf die Gesinnung (Einstellung, Meinung, Zugehörigkeit, Streben) beziehen, während Sinnen- sich häufiger auf die Sinne (hören, sehen…) bezieht.
Lässt sich diese These halten? Und wie ist der unterschiedliche Gebrauch derselben Wurzel (Sinn) grammatisch oder etymologisch zu begründen?