Eine kaiserliche Randnotiz zu einem Telegramm des Reichskanzlers lautet wie folgt:
Woher ist das zu entnehmen? Aus dem mir vorgelegten Material nicht.
Dies versteht man natürlich problemlos, aber es klingt falsch oder zumindest wenig elegant, denn entnehmen
steht mit dem Dativ. Der Kaiser hätte schreiben sollen:
Welchem Material (alternativ: Welchen Unterlagen oder Welcher Quelle) ist das zu entnehmen? Dem mir vorgelegten Material nicht.
Das war ihm vielleicht zu umständlich für eine Randnotiz. Der springende Punkt ist jedenfalls, daß zwar wer
vollständig dekliniert wird (wessen, wem, wen), was
dagegen eine Lücke im Dativ aufweist (wessen, -, was). Gäbe es hier den Dativ wam
, so hätte der Kaiser einfach schreiben können:
Wam ist das zu entnehmen? Dem mir vorgelegten Material nicht.
Im lateinischen sind die Pronomina vollständig: quis/quid, cuius, cui, quem/quid, quo. (Im russischen auch: что Чего Чему Что Чем чём.) Warum nicht im deutschen? Wie sah es im mittelhochdeutschen und althochdeutschen aus? Was spricht dagegen, hier wam
(siehe angehängten Nachtrag) oder auch wem
zu benutzen? - Nachträgliche Klarstellung: Die Form wam
ist historisch nicht belegt und nur meiner Phantasie entsprungen, wie die Form wohl lauten könnte.
Um auf die bisher eingetrudelten Kommentare einzugehen:
@Carsten: Die verlinkte Frage ist gleich, allerdings etwas unglücklich gestellt und von chirlu windschief beantwortet. Dafür ist die Antwort von rogermue (bislang 0 Punkte) gut.
@tofro: Das Verb entnehmen
wird in der Tat auch mit Präposition verwendet statt nur mit nacktem Dativ. Da hast du recht. Allerdings klingt es für meine Ohren recht unglücklich, sowohl in der kaiserlichen als auch in deiner Variante. Da würde ich eher fragen: Woraus hast du ersehen (statt entnommen), daß …
@Janka: Wessen ist Genitiv und paßt hier nicht. Dativ wird gesucht. Wessen und wem lassen beide an Personen denken.
Joachim Bumke, Einführung in die ältere deutsche Sprache - Materialien, Köln circa 1991 - Deklination des Fragefürwortes im Mittelhochdeutschen: wer/waz, wes, wem(e), wen/waz
Demnach wäre wem als Dativ von was hier das beste. Trotzdem unbefriedigend.
Das DWB der Brüder Grimm (Lemma wer, dann Textsuche: B. was — fragewort der sache) schweigt sich leider auch über den fehlenden Dativ aus. Das hätt ich jetzt nicht gedacht. … enthält die Antwort, die ich übersehen habe, worauf David Vogt in den Kommentaren hinweist.
Es ist also eine defektive Deklination. Das ist hart, aber ich werde es überleben. - Nachtrag: Siehe Kommentar von David Vogt und ggf. Antwort.
entnehmen
in einem Dativ-Konstrukt steht. Denn Lumis Vorschlag verwendet Genitiv &entnehmen
. Daher sehe ich kein "immer mit Dativ".