Beim Blick in den Zweifelsfallsduden (Duden 9, 8. Auflage) zum Stichwort runter wird man nur an das Stichwort Apostroph verwiesen. Immerhin wird dort (SS. 85–86) zwischen n- anlautenden Kürzungen ('nan, 'nauf, 'naus, 'nein, 'nüber, 'nunter) und r- anlautenden Kürzungen (ran, rauf, raus, rein, rüber, runter) unterschieden. (Letztere würden üblicherweise ohne Apostroph verwendet, weil man sie als selbstständige Nebenformen ansehe.)
Demnach könnte man zunächst vermuten, n- anlautende Kürzungen würden nur Adverbien mit hin- und r- anlautenden Kürzungen nur Adverbien mit her- ersetzen.
Zumindest in Ostdeutschland, wo ich aufgewachsen bin, ist das definitiv nicht so! Hier werden ausnahmslos die r- anlautenden Kürzungen verwendet, und zwar gleichermaßen für Adverbien mit her- und hin-. Einen Sprecher oder Schreiber, der oft n- anlautende Kürzungen wie im nachfolgenden Beispiel verwendet, würde ich sofort dem süddeutschen Raum zuordnen:
„Gehen S' die Treppen 'nauf!“
Beispiele für den Gebrauch in Ostdeutschland:
runter
- Kommst du bald runter (herunter)?
- Sie lief schnell die Treppe runter (hinunter)!
raus
- Er kam zu uns raus. (heraus)
- Bei dem Wetter gehe ich gern raus (hinaus).
rein
- Komm ruhig rein (herein)!
- Beim Reinfahren (Hineinfahren) gleich links!
...
Übrigens schrieb vor einhundert Jahren schon Eduard Engel in seinem großartigen Werk Deutsche Stilkunst (2. Auflage des Nachdrucks aus dem Persephone Verlag, Zürich, 2017):
„Daß Hin und Her etwas Verschiedenes bedeuten, ahnt zwar der Nord- und Mitteldeutsche, hält das aber nur für eine bedeutungslose Lehrmeinung; der Süddeutsche fühlt es und spricht demgemäß so lange richtig, wie er nicht durch die allgemeindeutsche Schriftsprache, besonders durch die norddeutschen Zeitungen stumpfgeworden.“ (S. 82)
Und weiter:
„Eine Ausnahme von der sonst strengen Regel bilden einige derbe Zeitwörter wie rauswerfen, rausschmeißen, reinfallen, die übrigens in Süddeutschland meist mit n ('nauswerfen) gebraucht werden. Vielleicht hat das rollende R mit seiner stärkeren Tonmalerei dazu verführt.“ (S. 83)