„einst sehr ähnlich“
Das zu hinterfragende Problem wird von Amanda Pounder direkt angesprochen (Hervorhebung meinerseits):
[…] if one goes back far enough, one finds that adverb-marking in the two languages was once very similar, and that indeed, the means of adverb-marking initially underwent parallel developments in the two languages. Indeed, the affix lich was at one time used for the morphological marking of adverbs in German. [Pounder, A. 2001]
Als nachvollziehbares Beispiel steht da: ein höflich unterdrückter Seufzer, "a politely suppressed sigh" (pg. 301).
Zur Einordnung der Frage siehe bspw. eine Rezension der Adjektiv-Adverb-Abgrenzung im Deutschen:
Claudia Telschow greift mit der Adjektiv-Adverb-Abgrenzung einen notorischen Aspekt der Wortartenforschung heraus, der schon häufig Gegenstand linguistischer Diskussionen war mit einer Reihe verschiedener Ergebnisse, die von den Extremen der Annahme zweier grundsätzlich voneinander zu trennenden Wortarten bis hin zu der Annahme reicht, dass Adjektive und Adverbien eine Wortart bilden (zur ersten Position siehe zum Beispiel Schmöe 2002, zur zweiten Position siehe Alexiadou 1997). [Elsner, D. 2017, Review]
Die Fragestellung ist also auch ein Problem der Interpretation. Dabei ist die Historik des Ableitungsmorphems gar nicht befriedigend, weil keine gesicherte indoeuropäische Etymologie für urgermanisch *līką vorliegt. PIE *leyg- ist eine rein mechanische Rekonstruktion, die nur im baltischen Sprachzweig zu Ergebnissen führt, womit die herkömmlichen Erklärung aus einem Wurzelnomen insoweit nicht bestätigt wird.
Doch geht Pounder glücklicher Weise nicht darauf ein und fasst die Situation hoch-deutsch wie folgt zusammen.
Althochdeutsch -o bildet Adverben, vgl. bspw. blint "blind", blinto "blindly" (vgl. übrigens @DavidVogel, oben). Somit ist adv. -lihho von adj. -lih zu unterscheiden, wobei ein geringes Verwechslungs-Potential in der Beugung entsteht (pg. 303).
Dann besteht Konkurenz zwischen -o und -lihho in der produktiven Bildung von Adverben, bspw. ahd. ewigo und ewiglihho, sodass sich -lihho herauslößt und anscheinend eigenständig Adverben wie miltlihho bildet, ohne ein soweit jedenfalls nicht bezeugtes lih-adjektive zum Vorbild zu nehmen (pg. 304).
Nachdem Suffix o zu e [ə] abgeschwächt wird, ist das Verwechslungspotential im Übergang von Alt- zu Mittelhochdeutsch um so größer. Weiterhin soll Unterscheidung auf syntaktischer Ebene möglich sein (pg. 306).
Ferner wird – wegen Lautwandel wie Umlautung – mit enge / enge < engi / ango eine fortschreitende Angleichung von ja-Stämmen an deren Adverbien verzeichnet, wodurch ein Anstieg der Suffix-Produktion zu -lich begünstigt würde (pg. 305).
Während -en an -lich antritt, fällt -e außer Gebrauch:
lich, then, has become the principal suffix in any adverb-forming process that is overtly marked; the only alternative to lich-
suffixation is a zero-process whereby only the syntactic category and thus properties of the base are changed. [Pounder, A. 2001, pg. 305]
Die darunter angeführten Beispiele (Pseudo-Magnus, 1581) wirken heute befremdlich, z.B.: "und mit denselbigen ihren Henden /
sol die Hebam Senfftiglichen greiffen zu der Mutter ... (p.8f.)".
Aus derselben Quelle ein Beispiel für Konversion ohne morphosyntaktische Markierung ("zero-process", pg. 305): "so soll die Hebamm ... die schultern deß Kindts fleissig begreiffen ... (p.11a)".
Im Artikel werden ferner die englischen Beispiele besprochen (pp. 306-8) sowie die Funktionen der Adverben in beiden Sprachen (308-15; 316-18) um anhand von Grammatiken der vorigen Jahrhunderte nach einem Grund für die letztendliche Veraltung der lich-Derivation zu suchen (319-50).
Schlussendlich stellt Pounder heraus, dass Standardisierung, die auch in westdeutsche Varietäten einzugreifen scheint (pg. 351), mittels einheitlicher Beugung der Adjektive und zunehmender Lexikalisierung der Suffixe die Unterscheidung von Adverben erleichtert hat ("The standardization of adjective inflection ([...]) was completely successful in the written standard and allowed for a complete local disambiguation from adverbs at the principal critical locus." pg. 352). Aber auch zunehmende Polemisierung wird erkannt und für das fortschreiten der Grammatik in eine unbestimmte Richtung erkannt.
„die gleiche klare Trennung zwischen Adjektiv und Adverb“
Die Frage ist hinreichend begründet, da die Annahme naheliegt, "dass die deutsche Sprache einst die gleiche klare Trennung zwischen Adjektiv und Adverb besaß, wie sie heute noch im Englischen existiert". Darunter wird auch klar, "Dass es eine ähnliche Kreativität bei der Bildung von Adverbien gab wie heute im Englischen?", und zwar so dass Produktivität definitionsgemäß nachweisbar ist, so bspw. mhd. miltlihho vs. engl. mildly.
Unterdessen ist nicht gesagt, inwieweit diese Ähnlichkeit auf eine gemeinsame Entwicklung zurückgeführt werden könnte oder doch Zufall sei.
Ad: Miszäellige Beispiele
Die zu vergleichenden Beispiele (OP) dürften teils dem Zufall zuzuschreiben sein.
Alle Angaben ohne Gewähr.
- Gnade, gnädig, adv. gnädiglich, vgl. eglesias (von der Kirche), etwa Gnade-*eglesis entsprechend von Gottes Gnaden.
- Bitter, bitter, adv. bitterlich, vgl. beten, bitten, behelfsweise mit er- (vgl. ehrlich, erlauben), bitterlich weinen.
- Security, sicherheit, adv. sicherlich--bei Tom Gerhardt heißt det sischer sischer--vgl. safe, safelock; da will ich mich nicht festlegen, würde aber getrennte lombardische und fränkische Einflüsse unterstellen. Ebenso das folgende.
- Freiheit, frei, adv. / interj. freilich--Ich bin ein Saupreuss doch glaube es heißt freili--vgl. freien "bitten", engl. pray "please" ("pray tell"); wegen der häufigen Verwendung wären verschiedentelliche Ursprünge denkbar, ...
- klein, kleinlich (früher Adv.?) Bennecke (BMZ) nennt es gracilis und verweißt auf Diefenbachs Grammatik; Lexer unterscheidet adv. klein-liche: adv. auf feine, zarte art. genau, kleinlîcher verstân (Lexer) also ja, das ist ein generisches Adverb gewesen. Ebenso das folgende. 6. süß, adj. süßlich (früher kein Adv.?) dito, und wie bitterlich auch als Geschmacksrichtung zu verorten, ist vielleicht Anschluss an onomatopoesia und synthestesia möglich, etwa interj. lecker schmecker (süß- ~). ... 7. gelb, adj. gelblich (früher kein Adv.?), vgl. licht oder ähnliches, falls ebenfalls imitativ im Sinne des vorigen; Im Sinne eines iterativem l-Suffix wäre eher an vergilb(*l-)t Sepia zu denken--an dieser Stelle wäre pejorativer Gebrauch aus der Semantik heraus zu erschließen.
Literatur
Amanda V. Pounder. Adverb-marking in German and English: System and standardization.
in: Diachronica, Volume 18, Issue 2, Jan 2001, p. 301 - 358
DOI: https://doi.org/10.1075/dia.18.2.05pou
Daniela Elsner. Rezension: "Die Adjektiv-Adverb-Abgrenzung im Deutschen, von Claudio Telschow". in: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Bd. 84, H. 1 (2017), pp. 103-106. Literaturangaben:
Alexiadou, Artemis (1997): Adverb Placement: a case study in antisymmetric syntax. Amsterdam: Benjamins (Linguistik Aktuell/Linguistics Today. 18).
Bergenholtz, Henning/Burkhard Schaeder (1977): Die Wortarten des Deutschen. Versuch einer syntaktisch orientierten Klassifikation. Stuttgart: Klett.
Pittner, Karin (2010): Prädikative Genitive - ein vernachlässigtes Kapitel der Grammatikschreibung. In: Deutsche Sprache 38 (3), 193-209.
Rauh, Gisa (2010): Syntactic Categories. Their Identification and Description in Linguistic Theories. Oxford: Oxford University Press (Oxford Surveys in Syntax & Morphology).
Schmöe, Friederike (2002): Die deutschen Adverbien als Wortklasse. [Unveröffentlichte Habilitationsschrift].
Thieroff, Rolf/Petra Vogel (2012): Flexion. Zweite, aktualisierte Auflage. Heidelberg: Winter (Kurze Einführungen in die germanistische Linguistik. 7)