Eine kurze Pause (eine Zäsur) und /ʔ/ (ein Glottisschlag) sind nicht dasselbe!
Zäsur (Sprechpause)
Sprechen Sie diese Wörter aus:
Krepppapier, Fetttropfen, norddeutsch, Dämmmaterial
In keinem dieser Wörter kommt ein Glottisschlag vor, aber in jedem gibt es an jener Stelle, an der zwei gleiche Konsonanten getrennt voneinander gesprochen werden müssen, eine kleine Zäsur, also eine kurze Sprechpause.
Glottisschlag
Wenn man ein Wort ausspricht, das mit dem Vokal A beginnen sollte (»Apfel«, »arbeiten«), entsteht fast immer ein Glottisschlag vor dem Vokal A. Dieser Laut gilt in vielen Sprachen als eigenständiger Vokal und hat in der arabischen Schrift auch einen eigenen Buchstaben (das Hamza; alleinstehende Form: »ء«). In der lateinischen Schrift gibt es aber keinen Buchstaben für diesen Laut, daher wird dieser Konsonant in der deutschen Sprache zwar relativ häufig ausgesprochen, aber niemals geschrieben. Und weil er niemals geschrieben wird, wird er von vielen Menschen auch nicht bewusst wahrgenommen.
In der IPA-Lautschrift wird dieser Konsonant mit dem Zeichen [ʔ] wiedergegeben. Dieses Zeichen sieht einem Fragezeichen (»?«) zwar ähnlich, ist aber ein anderes Zeichen. (Hier direkt nebeneinander: ?ʔ)
Fast alle deutschen Wörter, die mit einem A als ersten Buchstaben geschrieben werden, werden in Wahrheit mit diesem Konsonanten am Anfang ausgesprochen. In mehrsilbigen Wörtern kommt dieser Konsonant häufig dann am Beginn einer Silbe vor, wenn eine Silbe mit einem Vokal endet und die nächste (zumindest in der geschriebenen Form) mit einem Vokal beginnt:
beachten = beʔachten
Theater = Theʔater
Oase = ʔoʔase
vereinen = verʔeinen (beachte, dass "er" in "ver-" fast wie "ea" besprochen wird und daher am Ende einen gesprochenen Vokal hat)
Aber auch wenn die vordere Silbe in einem Verschlusslaut endet, beginnt die nächste häufig mit einem Glottischlag:
Hebamme = Hebʔamme
Interessant ist auch, dass der Glottisschlag in Österreich und der Schweiz wesentlich unauffälliger gemacht wird und sehr oft komplett weggelassen wird, so dass vieles von dem, was hier gesagt wird, hauptsächlich für nördlichere Regionen gilt.
Schüler:innen
Vergleiche:
- Liebe Schüler:innen, ich darf euch recht herzlich im neuen Schuljahr begrüßen.
- Lasst uns zwei konzentrische Kreise bilden: Die Lehrer stehen außen und die Schüler innen.
Die beiden fett hervorgehobenen Ausschnitte hören sich für mich ziemlich gleich an. Tatsächlich ist es so, dass das alleinstehende Wort »innen« mit einem Glottisschlag am Beginn gesprochen wird. Der Glottisschlag in »Schüler:innen« signalisiert also eigentlich nur, dass die Lautfolge, die der Buchstabenfolge »innen« entspricht, als eigenständige Einheit exisitert. Ob diese eigenständige Einheit ein völlig autonomes Wort, oder ein Teil von »Schüler:innen« ist, macht keinen Unterschied.
Es gibt an der Stelle des Doppelpunktes aber nicht nur den Glottisschlag, sondern zusätzlich auch eine kurze Zäsur, so wie zwischen »nord« und »deutsch« in »norddeutsch«. Aber Zäsuren im Wortinneren haben nicht viel zu bedeuten, wie die Beispiele ganz am Beginn meiner Antwort belegen. Im vorliegenden Fall ist die Zäsur eine Folge des Einfügens des Glottisschlags.
Zusatzinfo (nicht mehr Teil der eigentlichen Antwort)
Der lateinische Buchstabe A entstand aus dem phönizischen Zeichen 𐤀, das den Namen ʔalf trägt. In seiner Urform sah es so ähnlich aus wie ∀, jedoch ging der Querstrich auf beiden Seiten über die Schenkel hinaus, so wie in 𐤀. Dieses Zeichen sollte den Schädel eines Rindes samt Hörnern und Ohren darstellen, und der Laut, den dieses Zeichen darstellte, war ein Glottisschlag, denn das war der erste Laut des phönizischen Wortes für Rind: ʔalef.
Die phönizische Sprache hatte ganz klare Regeln dafür, welche Vokale vor und nach welchen Konsonanten kommen müssen, ähnlich wie in der hebräischen Sprache, und daher war es gar nicht notwendig, Vokale schriftlich wiederzugeben. Wenn man Phönizisch kann, und die Konsonantenfolge vor sich sieht, ist sonnenklar, welche Vokale dazwischen gesprochen werden müssen. Daher enthielt die phönizische Schrift ausschließlich Zeichen für Konsonanten, und dasselbe ist aus demselben Grund auch heute noch bei der hebräischen Schrift der Fall. (Solche Schriftsysteme bezeichnet man daher auch nicht als Alphabet sondern als Abdschad oder Abjad.)
Aber als man dann auch im antiken römischen Reich begann Schrift zu verwenden, adaptierte man die phönizische Schrift. (Diese Darstellung ist verkürzt, weil die koptische und die griechische Schrift bei der Entwicklung auch eine wichtige Rolle spielte, aber das würde den Ramen dieses Textes sprengen.)
Allerdings gab es in der lateinischen Sprache keine strengen Regeln, die es ermöglichten, aus den Konsonanten direkt auf die Vokale zu schließen. Daher brauchte man für die lateinische Sprache auch Schriftzeichen für Vokale. Und weil der Glottisschlag in der lateinischen Sprache vermutlich gar nicht verwendet wurde, aber in phönizischen Worten auf den Glottisschlag praktisch immer der Vokal A folgte, verwendeten die alten Römer das Zeichen ʔalf für den Vokal A.
Und so entstand nicht nur der Buchstabe A, sondern so verschwand auch der Buchstabe, der ursprünglich verwendet wurde, um den Glottisschlag niederzuschreiben.