Ein besonders markantes Beispiel ist Gerald Klug, der vom 11. März 2013 bis zum 26. Jänner 2016 österreichischer Verteidigungsminister war. Von ihm stammt nicht nur das Adjektiv situationselastisch, (Youtube, 14 Sekunden lang) das 2014 zum österreichische Wort des Jahres gekürt wurde, sondern er war auch sehr bekannt für seine sonderbare Art, das Wort »Soldaten« auszusprechen. Das betraf bei ihm aber alle Wörter, die auf -en enden. Hier ist ein 14-Sekunden-Ausschnitt aus einer Ansprache an eine Gruppe österreichischer Soldaten:
Gerald Klug - "Soldatna":
Umso wichtiger ist es, dass wir gerade in diesen Zeitna auf professionell ausgebildete Soldatna, flexibel einsetzbare Soldatna, wie Sie es sind, zurückgreifen können.
Die Ausspracheversion von Gerald Klug ist inzwischen Teil des österreichischen Kulturguts, und so brachte 2021 die Wiener Band Freunde Schöner den Song Soldatna auf den Markt. Sie singen das ganze Lied im besten Hochdeutsch. (Wenn ich es nicht besser wüsste, und raten müsste von wem das Lied ist, hätte ich auf Sportfreunde Stiller getippt.) Lediglich im Refrain (das erste Mal bei ca. 1:03 und stark gehäuft von ca. 2:20 bis 2:50) wird das Wort Soldaten so ausgesprochen, wie es Gerald Klug 2013-2016 vorgemacht hat. (Gleich nach Soldtna kommt jedes Mal Habt Achtna, aber nur wegen des Reims.)
Warum ist das so?
Gerald Groß wurde 1968 (also nur 3 Jahre nach mir) in Graz (Hauptstatt des Bundeslandes Steiermark) geboren, und das ist auch meine Geburtsstadt. Ich kenne Gerald Groß zwar nicht persönlich, aber ich kenne viele andere Steirer (so nennt man die Bewohner der Steiermark) die zwischen 1950 und 1980 geboren wurden, und darunter sind zwar nicht viele, aber doch einige, die so sprechen wie Gerald Groß. Unter anderem hatte ich eine Zeit lang einen Chef, der auch so sprach. Daher kam mir, als ich Groß das erste Mal hörte, seine Sprechweise zwar provinziell, aber nicht besonders auffällig vor.
Der größte Teil der Steiermark liegt in dem Gebiet, in dem Mittelbairisch (auch Donaubairisch genannt) gesprochen wird. Die Weststeiermark (die nicht im Westen, sondern im Süden liegt)1 gehört aber zum Süd- oder Alpenbairischen Sprachgebiet. Graz liegt genau an der Grenze zwischen den beiden Dialekt-Gebieten. In beiden Varianten der Bairischen Dialekte ist es üblich, in Endsilben, die auf -en enden, den Vokal wegzulassen und stattdessen den Konsonanten n zu vokalisieren, so wie das bei den meisten Wörtern in der hochdeutschen Alltagssprache im gesamten Sprachraum gemacht wird.
Wenn man aber das betroffene Wort besonders deutlich aussprechen möchte, spricht man in der standarddeutschen Aussprache den Vokal doch aus und reduziert dafür die Vokalisierung des n. So wird aus [zeːn] bzw. österreichisch [seːn] für das Wort »sehen« bei Hervorhebung [ˈzeːən] oder gar [ˈzeːhən] (bzw. in Österreich: [ˈseːən] oder [ˈseːhən]). Dort, wo ich aufgewachsen bin (Graz und Umgebung) gibt es aber viele Dialektsprecher, die diesen Aussprachewandel bei Hervorhebung nicht machen. Da wird einfach versucht, das vokalisierte [n] stärker zu betonen. Wenn sich dann am Ende des Konsonanten [n] die Zunge von den Vorderzähnen bzw. dem vorderen Gaumen löst, während aber der Stimmapparat noch Klang produziert, wird daraus ein Schwa-Laut, den man normalerweise am Ende von einer oder jeder hört ([ɐ]). Beide Effekte zusammen (Nichtsprechen des eigentlich zu sprechenden Vokals vor dem [n] und Herausrutschen eines eigentlich nicht zum Wort gehörenden Vokals danach) haben zur Folge, dass es für Zuhörer so wirkt, als würden diese Sprecher die Reihenfolge von Vokal und Konsonant verwechseln. Tatsächlich ist es aber ein anderer Vokal (aus [ən] wird nicht [nə] sondern [nɐ]).
Das ist eigentlich eine schlampige und fehlerhafte Aussprache, aber wenn sie von anderen kommentarlos toleriert wird, und wenn man noch dazu dieselbe Aussprache auch von andren Menschen in der Umgebung hört, behalten sie manche Menschen eben bei.
Sächsisch in Österreich?
Nein. In Österreich sprechen nur einige deutsche Immigranten und Touristen Sächsisch. In Vorarlberg (ganz im Westen des Bundesgebietes) spricht man allemannische Dialekte, sonst überall bairische.
1 Off-Topic (Warum ist die Weststeiermark nicht im Westen der Steiermark?)
Bevor die Steiermark ein Teil der Habsburger-Monarchie wurde, war sie ein Herzogtum und erstreckte sich viel weiter in den Süden als heute. Der Teil, der heute in Slowenien liegt und in dem die Bevölkerung auch schon in der Monarchie slowenisch gesprochen hat (aber Amtssprache Deutsch), heißt Untersteiermark und war in der Monarchie die südliche der drei Verwaltungszonen der Steiermark. (In der steirische Landeshymne singen wir auch heute noch vom »Wendenland im Tal der Sav'«.) Der alpine Teil nördlich der Linie, die von den Flüssen Mur und Mürz gebildet wird, ist die Obersteiermark, sie war die nördliche Verwaltungsregion. Die Fläche der Obersteiermark macht gut 60% der Fläche der heutigen Steiermark aus. Dazwischen liegt als dritte ehemalige Verwaltungszone die bevölkerungsreiche Mittelsteiermark mit der Hauptstadt Graz im Zentrum. Die Mittelsteiermark wird durch die Mur, die dort von Norden nach Süden fließt, in 2 Hälften geteilt, die man West- und Ost-Steiermark nennt. Als 1919 die Monarchie zu Ende ging und die Untersteiermark ein Teil des neuen Königreichs Jugoslawien wurde, wurden auch die Verwaltungszonen aufgelöst. Der name Obersteiermark blieb, aber der Begriff Mittelsteiermark wurde nicht mehr verwendet. Wegen der feinen Unterschiede im Dialekt waren aber die Weststeirer und die Oststeirer leicht auseinanderzuhalten, daher blieben die Bezeichnungen Weststeiermark und Oststeiermark weiterhin in Verwendung. Die folgende Karte zeigt die Lage der Regionen: https://hubert.schoelnast.at/pics/Steiermark.png