Dieser Satz stammt genau aus dem Absatz, in dem die Geburt des Helden samt dem Tod seiner Mutter erzählt wird:
... Da fängt, wider Erwarten, die Geburt unter dem Schlachttisch zu schreien an. Man schaut nach, entdeckt unter einem Schwarm von Fliegen und zwischen Gekröse und abgeschlagenen Fischköpfen das Neugeborene, zerrt es heraus. Von Amts wegen wird es einer Amme gegeben, die Mutter festgenommen. Und weil sie geständig ist und ohne weiteres zugibt, daß sie das Ding bestimmt würde haben verrecken lassen, wie sie es im übrigen schon mit vier anderen getan habe, macht man ihr den Prozeß, verurteilt sie wegen mehrfachen Kindermords und schlägt ihr ein paar Wochen später auf der Place de Grève den Kopf ab.
Hier ist eine etwas vereinfachte Version des fraglichen Satzes, in neuer deutscher Rechtschreibung. (Der Roman erschien bereits 1985, 11 Jahre vor der Rechtschreibreform und daher in "alter" Rechtschreibung)
Sie gibt zu, dass sie das Ding bestimmt würde haben verrecken lassen.
Das »Ding« ist, wie schon erwähnt, ein Kind, nämlich Jean-Baptiste Grenouille, der Held der Geschichte.
Der vereinfachte Satz besteht aus einem Hauptsatz mit dem Verb »zugeben«, bei dem das Akkusativobjekt, das eigentlich vom Verb gefordert wird, durch einen mit »dass« eingeleiteten Konsekutivsatz ersetzt wurde. Diesen Konsekutivsatz kann man wie folgt in einen gewöhnlichen Hauptsatz umwandeln:
Sie würde das Ding bestimmt haben verrecken lassen.
Das Verb an Position 2 ist ein Modalverb. Es drückt eine Möglichkeit aus. Wenn diese Möglichkeit zu einer Wirklichkeit wird, lässt man das Modalverb einfach weg. Dann muss das Hilfsverb an Position 2 vorrücken. An Position 2 steht in einem Hauptsatz aber immer das Verb, das gebeugt wird, daher wird aus der Infinitiv-Form »haben« die gebeugte Form »hat«:
Sie hat das Ding bestimmt verrecken lassen.
Das Hilfsverb haben/hat ist notwendig, um die Zeitform Perfekt zu bilden. Wenn man diesen Satz in die Gegenwart rückt, fällt es weg, und nun rückt »lassen« nach vor und wird zu »lässt«:
Sie lässt das Ding bestimmt verrecken.
Das Verb »lassen« ist eines der wenigen Verben, die neben sich einen reinen Infinitiv stehen haben können. Zu dieser Kategorie gehören alle Modalverben und das Hilfsverb werden, letztes um die Zeitform "Zukunft" zu bilden (»Ich darf einkaufen, ich kann einkaufen, ich muss einkaufen, usw.« Und: »Ich werde einkaufen.«)
Andere Verben, die diesen Trick ebenfalls beherrschen, sind:
Ich gehe einkaufen. (Ankündigung einer zukünftigen Handlung.)
Ich bin einkaufen. (Beschreibung einer aktuellen Tätigkeit.)
Ich lerne einkaufen. Ich trainiere einkaufen. (Die Tätigkeit "Einkaufen" wird hier zum Gegenstand der Tätigkeit "Lernen" bzw. "Trainieren")
Es gibt noch mehr solcher Verben, einige benötigen noch weitere Objekte (»Ich höre dich singen.«) Und eines dieser Verben ist »lassen«:
Ich lasse einkaufen. (Ich veranlasse, dass eine andere Person diese Tätigkeit für mich ausführt.)
Ich lasse die Suppe abkühlen. (Die Suppe kühlt ohne mein Zutun von selbst ab. Das Verb »lassen« drückt hier nicht aus, dass ich das Abkühlen veranlasse, sondern dass ich nichts dagegen unternehme.)
Der Satz »Die Mutter lässt ihren Sohn verrecken«. bedeutet also, dass die Mutter nichts dagegen unternimmt, dass ihr Sohn mitten im Unrat stirbt. Der Sohn stirbt nämlich sicherlich ganz von alleine:
Das Ding verreckt bestimmt.
Und jetzt das Ganze wieder retour:
Das Kind stirbt sicherlich:
Das Ding verreckt bestimmt.
Die Mutter unternimmt nichts dagegen:
Sie lässt das Ding bestimmt verrecken.
(Beachte, das sich das Wort bestimmt hier auf ein anderes Verb bezieht als zuvor. Zuerst: Es ist sicher, dass das Kind stirbt. Dann: Es ist sicher, dass die Mutter nichts dagegen macht.)
Nicht jetzt, sondern in der Vergangenheit:
Sie hat das Ding bestimmt verrecken lassen.
Das ist nicht wirklich passiert, sondern war nur eine Möglichkeit:
Sie würde das Ding bestimmt haben verrecken lassen.
Das wäre an dieser Stelle auch möglich gewesen:
Sie hätte das Ding bestimmt verrecken lassen.
Aber Patrick Süskind hat in seinem Buch absichtlich etwas sperrigere Konstruktionen als ein Stilmittel verwendet, daher entschied er sich für die Version mit dem Wort »würde«.
Nächste Verkomplizierungsstufe: der Konsekutivsatz
Sie gibt zu, dass sie das Ding bestimmt würde haben verrecken lassen.
Und am Ende wird das noch in einen Schachtelsatz verpackt:
Und weil sie geständig ist und ohne weiteres zugibt, dass sie das Ding bestimmt würde haben verrecken lassen, wie sie es im übrigen schon mit vier anderen getan habe, macht man ihr den Prozess, verurteilt sie wegen mehrfachen Kindermords und schlägt ihr ein paar Wochen später auf der Place de Grève den Kopf ab.
Die letzte Transformation ist dann nur noch der Wechsel von neuer zu alter Rechtschreibung.
Noch ein paar Worte zum folgenden Vorschlag:
Sie gibt zu, dass sie das Ding bestimmt verrecken gelassen würde.
Nein, das ist leider falsch. Grammatisch korrekt wäre diese Version:
Sie gibt zu, dass sie das Ding bestimmt verrecken lassen würde.
Das heißt aber, dass die Mutter jetzt (in der Gegenwart, während sie verhört wird) nichts gegen das Sterben ihres Sohnes unternehmen würde. Angesichts der drohenden Todesstrafe ist das aber unwahrscheinlich. Zutreffend ist hingegen, dass sie sich schon in der Vergangenheit dazu entschieden hat, ihren Sohn sterben zu lassen. Daher muss auch noch das Hilfsverb haben in die Liste der Verben eingefügt werden.
Allerdings ist diese Kombination von drei Verben im Infinitiv sehr selten, und für gewöhnlich vermeidet man solche Kombinationen. Ich habe oben schon diese Version erwähnt:
Sie hätte das Ding bestimmt verrecken lassen.
Daraus wir als Konsekutivsatz diese beiden möglichen Versionen:
Sie gibt zu, dass sie das Ding bestimmt hätte verrecken lassen.
Sie gibt zu, dass sie das Ding bestimmt verrecken lassen hätte.