Vorweg eine Unterscheidung der beiden relevanten Fälle anhand von Beispielen, damit klar wird, wovon ich rede:
Teilsätze
Ich kam, ich sah, ich siegte.
Ich stand auf und ich ging zur Arbeit.
Ich gehe ins Kino oder ich bleibe zuhause.
Ich bin zwar blind, aber ich bin nicht taub.
Ich esse, denn ich bin hungrig.
Ich bin hungrig, deshalb esse ich.
Der Verdächtige ist schuldig, außerdem ist er vorbestraft.
In all diesen Fällen kann ich die Position der Sätze nicht verändern, insbesondere kann ich die Teilsätze nicht innerhalb eines anderen Satzes unterbringen.
Nebensätze
Ich esse, weil ich hungrig bin.
Die Sonne ging auf, als ich aus dem Fenster schaute.
Derjenige Verdächtige, der vorbestraft ist, ist schuldig.
Der Verdächtige, der außerdem vorbestraft ist, ist schuldig.
In all diesen Fällen kann ich die Position der Nebensätze verändern und sie insbesondere in andere Sätze einschieben. Außerdem steht das Verb am Ende.
Zäumen wir das Pferd mal von einer anderen Seite auf: Definitionen sind ja kein reiner Selbstzweck. Wozu muss ich überhaupt Nebensätze von Teilsätzen unterscheiden können (alle anderen Fälle dürften kein Problem darstellen)?
Orthografisch gibt es keinen Unterschied: Die Rechtschreibregeln nutzen das Wort Nebensatz ein paar Male, aber in jedem Fall werden die syntaktischen Eigenschaften von Nebensätzen angesprochen (Verbendstellung, Einschiebbarkeit) und es gibt keinen Fall, in dem Neben- und Teilsätze orthografisch unterschiedlich zu behandeln sind.
Syntaktisch unterscheiden sich Nebensätze dadurch, dass sie (meistens) in andere Sätze eingeschoben werden können und in ihnen das Verb am Ende steht. Außerdem kann ich sie in vielen Aspekten wie ein Satzglied behandeln und z. B. Adverbien darauf anwenden.
Inhaltlich ermöglichen Nebensätze gewisse Aussagen, die anderenfalls sehr umständlich zu treffen wären, aber keine dieser Eigenschaften gilt universell für alle Nebensätze und wie ich später versuche darzulegen, ist dies eher eine Folge der syntaktischen Eigenschaften als etwas Inhärentes, auf dem man eine Definition aufbauen könnte.
Es ist also in erster Linie wichtig, Neben- und Teilsätze zu unterscheiden, um die richtige Syntax anzuwenden (und die richtige Konjunktion zu nutzen, also z. B. weil vs. denn). Und genau darauf sollte dann auch eine Definition abzielen, wenn man nicht unnötig mit Ausnahmen jonglieren möchte. Allerdings ist die Definition damit zwangsläufig sprachspezifisch. Zusammenfassend also:
Die deutsche Syntax erlaubt sogenannte Nebensätze. Diese verhalten sich weitgehend wie Satzglieder, werden in der Regel mit gesonderten Konjunktionen eingeleitet, in ihnen steht das Verb am Ende und es gelten noch einige weitere Syntaxregeln.
Wie bereits angedroht, sehe ich die ganzen inhaltlichen Möglichkeiten, die Nebensätze eröffnen,¹ als Folge ihrer syntaktischen Eigenschaften an und nicht als inhärent. Am besten deutlich wird dies vielleicht mit restriktiven und explikativen Relativsätzen:
A) Derjenige Verdächtige, der vorbestraft ist, ist schuldig.
B) Der Verdächtige ist schuldig, er ist übrigens vorbestraft.
C) Der Verdächtige, der übrigens vorbestraft ist, ist schuldig.
D) Der Verdächtige, der vorbestraft ist, ist schuldig.
In Beispiel A ist der Nebensatz unverzichtbar, damit der ganze Satz funktioniert – die gleiche Aussage mit Teilsätzen zu treffen wäre recht schwierig. In Beispiel B liegen zwei Teilsätze vor, die für sich funktionieren, und die Aussage des Satzes ändert sich deutlich. Dies hat aber nichts damit zu tun, dass es einmal ein Nebensatz und einmal ein Teilsatz ist, denn auch Beispiel C hat diese Eigenschaften und ist fast bedeutungsgleich mit Beispiel B. Beispiel D schließlich kann je nach Kontext oder Betonung sowohl wie Beispiel A als auch wie Beispiel B oder C gelesen werden – derselbe Nebensatz kann also eine deutlich andere Rolle im Hauptsatz übernehmen. Insbesondere funktioniert Beispiel A nur deswegen, da ich hier den Nebensatz gewissermaßen als Satzglied, nämlich als Adjektiv nutze – mit einem Teilsatz ginge dies nicht.
Ein weiteres Beispiel (das ich em1 verdanke):
A) Mary hat ihre Prüfungen bestanden, denn sie hatte gut gelernt.
B) Mary hat ihre Prüfungen nur bestanden, weil sie gut gelernt hatte.
C) Mary hat ihre Prüfungen bestanden, weil sie gut gelernt hatte.
In Beispiel A treffe ich zwei Aussagen: Mary hat 1) ihre Prüfungen bestanden, 2) gut gelernt. Diese Aussagen setze ich mit denn in Beziehung zueinander. In Beispiel B treffe ich hingegen eine Aussage, und zwar über den Kausalzusammenhang. Beide Einzeltatsachen können schon vorher bekannt gewesen sein. Auch hier nutze ich den Nebensatz wieder als Satzglied (nämlich als adverbiale Bestimmung des Grundes) und wende ein Adverb (nur) auf ihn an, um den Zusammenhang zu spezifizieren. Beispiel C ist wieder mehrdeutig und kann je nach Kontext und Betonung wie Beispiel A oder B eingesetzt werden.
Schließlich mag noch jemand einwenden, dass viele der Sätze, die ich als fast bedeutungsgleich eingestuft habe, eben nur fast bedeutungsleich sind. Zum Beispiel unterscheiden sich die beiden folgenden Sätze darin, wie sie einzelne Aspekte betonen:
Der Verdächtige ist schuldig, er ist übrigens vorbestraft.
Der Verdächtige, der übrigens vorbestraft ist, ist schuldig.
Allerdings denke ich, dass dieser Unterschied überhaupt erst durch die Möglichkeit, diesen Sachverhalt auf zweierlei Weise zu schildern, entsteht und damit eine Konsequenz dessen ist, dass uns die deutsche Sprache den Nebensatz als syntaktisches Konstrukt zur Verfügung stellt.
¹ Und eventuelle inhaltliche Abhängigkeiten, die sich daraus ergeben.