Mindestens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts scheint *obliegen* ausschließlich als trennbares Verb gebraucht worden zu sein. So verzeichnen es die Brüder Grimm im [*Deutschen Wörterbuch*][1], wobei sie u.a. Fundstellen bei Goethe, Schiller und Wieland anführen. [DWDS][2] kennt darüber hinaus Fundstellen bei Rathenau (1918) und Emil Strauß (1919), sodass diese Verwendung vermutlich auch noch in der Zwischenkriegszeit nicht ungewöhnlich war. Nach der (zumindest heute gültigen) Faustformel, dass trennbare Silben betont sind, könnte sich infolgedessen auch der Akzent von *ób*liegen auf ob*líe*gen verschoben haben. Im Laufe des 20. Jahrhunderts muss die Häufigkeit der getrennten Form erheblich abgenommen haben. In der heutigen Zeit ist der Gebrauch als trennbares Verb und die damit verbundene Betonung auf der ersten Silbe auch nach meinem Gefühl völlig unüblich. Zur Nebenfrage: Hierzu gibt es einen guten [Eintrag][3] in der *Variantengrammatik* (VG) des IDS. Laut dieser und DWDS sind fakultativ trennbar (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): > [aberkennen][4], [anerbieten][5], [anerkennen][6], [auferlegen][7], fachsimpeln\*/\*\*, [obliegen][8], [obsiegen][9], [obwalten][10]\*\*, [übersiedeln][11], [widerhallen][12], widerschallen*, [widerspiegeln][13] > > *nur in der *Variantengrammtik* des IDS enthalten<br /> > **VG verweist auf *Ebner, Jakob (2009): Wörterbuch des österreichischen Deutsch* Bei manchen dieser Verben hat sich der Gebrauch mit der Zeit verändert (diachrone Variation), bei anderen hängt er vom Gebiet ab (synchrone/areale Variation), wieder andere werden ohne räumliche Schwerpunkte nebeneinander gebraucht (synchrone/non-areale Variation). **Diachrone Variation** Diese betrifft vor allem die Verben mit *ob-*: die getrennte Form *waltete ob* findet sich noch 1924 bei Mann im *Zauberberg*; *siegte ob* 1937 bei Ehm Welk (alle Fundstellen bei DWDS). Anders *auferlegen*: Hier ist die zusammengesetzte Form *[war ein großer Richter …:] er auferlegte Buße*, die sich noch 1943 in Hesses *Glasperlenspiel* von 1943 zeigt (und vielfach vor 1900 bei [*Google Books*][14]), heute jedoch wohl ungebräuchlich ist. Diese gegensätzliche Entwicklung ist bemerkenswert, da *auf(er)legen* nichts anderes als die kausative Alternation von *obliegen* zu sein scheint. Das Interessante an *auferlegen, obliegen, obsiegen* und *obwalten* ist ferner die laut [*Etymologischem Wörterbuch des Deutschen*][15] enge Verwandtschaft der drei Vorsilben, die auf dieselbe indoeuropäische Wurzel zurückzuführen sind. Der Verbbestandteil [*ob-*][16] war ursprünglich eine Präposition wie [*über*][16] (vgl. *Rothenburg ob der Tauber*) und wurde laut DWB erst im Neuhochdeutschen zusammengerückt, was die (ursprüngliche) Trennbarkeit erklären würde; auch der Verbbestandteil *über-* kann trenn- oder untrennbar sein. Sofern diese Verben als trennbar behandelt werden, ist jedoch eine Betonung auf der Vorsilbe zu erwarten. **Areale synchrone Variation** Dazu gehören *anerkennen*, *übersiedeln* und *widerspiegeln*. In Deutschland überwiegt der trennbare Gebrauch, während die Verben in der Schweiz (und Süd(west)deutschland) meist ungetrennt erscheinen. In Österreich wird *widerspiegeln* laut VG fast immer getrennt, *übersiedeln* aber nicht, und *anerkennen* regional unterschiedlich gehandhabt. **Non-areale synchrone Variation** Dazu zählt die VG *aberkennen, anerbieten, auferlegen, widerhallen* und *widerschallen*. Aufgrund des insgesamt seltenen Gebrauchs seien hier keine genauen Häufigkeiten zu ermitteln. [1]: https://www.dwds.de/wb/dwb/obliegen#GO00480 [2]: https://www.dwds.de/wb/obliegen#d-1-1 [3]: http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/Trennbare_und_untrennbare_Verben [4]: https://www.dwds.de/wb/aberkennen [5]: https://www.dwds.de/wb/anerbieten [6]: https://www.dwds.de/wb/anerkennen [7]: https://www.dwds.de/wb/auferlegen [8]: https://www.dwds.de/wb/obliegen [9]: https://www.dwds.de/wb/obsiegen [10]: https://www.dwds.de/wb/obwalten [11]: https://www.dwds.de/wb/%C3%BCbersiedeln [12]: https://www.dwds.de/wb/widerhallen [13]: https://www.dwds.de/wb/widerspiegeln [14]: https://www.google.com/search?q=er%20auferlegte [15]: https://www.dwds.de/wb/etymwb/auf [16]: https://www.dwds.de/wb/etymwb/ob#wb-1