0. Keine Hunderprozentigen Gesetze
Fremdworte, die aus dem Englischen ins Deutsche übernommen werden, erhalten ihr Geschlecht per Konvention. Man kann in diesem Prozess der Konventionsfindung ein paar Regularitäten beobachten, aber daraus lassen sich deskriptiv keine hunderprozentig belastbaren Gesetze ableiten.
Es lässt sich etwa beobachten, dass Fremdworte eine Zeitlang konkurrierende Genera haben. Ein Beispiel dafür ist das Wort Firewall, das sowohl mit femininem und maskulinem Geschlecht existiert.
Für alle einfacheren Regeln lassen sich Ausnahmen finden. In der Literatur sind verschiedene Faktoren identifiziert worden, die die Genusfindung beeinflussen. Bisher ist keine Regel ausfindig gemacht worden, welche die Genusfindung ohne Ausnahmen erklären kann: Diese Faktoren sind einerseits nicht abschließend – sie können nicht alle Fälle erklären. Andereseits sind sie auch zu grob – mitunter stehen sie in Konkurrenz zueinander, und in Fällen der Konkurrenz fehlt es an Kriterien, um zu beschreiben, welcher Faktor den Ausschlag gibt. Hierfür ist Firewall ein Beispiel: hier scheinen mehrere semantische Analogien (zu die Mauer und der Wall) möglich, die in Konkurrenz zueinander stehen.
Ich referiere im Folgenden aus Agnieszka Nyenhuis, Karin Pittner: Faktoren der Genuszuweisung – ein Vergleich anhand von Anglizismen und Polonismen., in: Germanica Wratislaviensia Bd. 136 (2012), S. 123-147.. Diese Arbeit listet die die wichtigsten Prinzipien auf, welche die Findung des Genus im Deutschen mitbedingen. Alle direkten Zitate und die meisten Beispiele sind aus dieser Arbeit. Die Arbeit ihrerseits stützt sich in Betracht auf die hier diskutierte Frage stark auf Alexander Onysko: Anglicisms in German. Borrowing, Lexical Productivity, and Written Codeswitching., de Gruyter, Berlin/New York 2007.
1. Morphologische Faktoren
Morphologische Faktoren sind Faktoren, die der Form des Worts entspringen. Wenn erkennbar ist wie die Form sich zusammensetzt, kann eine Analogie zu im Deutschen vorhandenen Konstruktionen entstehen:
In einer durchsichtigen Morphemkonstruktion erhält die Entlehnung
das Genus, das im Deutschen durch das dem Fremdaffixen entsprechende heimische Affix bedingt ist.
1.1 Suffixe und Pseudosuffixe:
Bestimmte Endungen des Englischen werden als Suffixe erkannt. Man spricht von "Suffix-Analogie". Unter Anderem sind das Endungen, die aus dem Lateinischen stammen und analog in romanischen Sprachen und auch im Deutschen existieren. Beispiele für Suffix-Analogie sind:
- -er – der Trainer, der Stalker, der Hacker, der Fidget Spinner
- -ty / -ity, analog zu Lateinisch -tas / -itas, deutsch -ität – die Publicity, die Society
- -ion / -tion, analog zu Lateinisch -ion / -tion, – die Action, die Connection, die Session
- -ness, funktional analog zu deutsch -heit / -keit – die Fitness, die Fairness, die Cleverness
- -ing, funktional analog zur Verbsubstantivierung – das Training, das Briefing
Hier ist nicht die phonetische Struktur (der Klang) ausschlaggebend für die Genuszuweiseung, sondern die funktionalen Eigenschaften des Suffix.
2. Semantische Faktoren
Semantische Faktoren sind solche, die in der Bedeutung des Wortes liegen.
2.1. Semantische Entsprechung
Anglizismen können ihr Genus aus einer semantischen Entsprechung zu einem existierenden deutschen Wort erhalten:
Beispiele:
- der Shop – der Laden
- das Girl – das Mädchen
- die Band – die Kappelle, die Gruppe
- die Story – die Geschichte
- der Beat – der Schlag, der Puls
- der Laptop – der Computer, der Rechner
Die Worte das Business, und das Poster sind Beispiele dafür, wie semantische und morphologische Faktoren miteinander konkurrieren können.
2.2. Natürliches Geschlecht
Personenbezeichnungen richten sich in ihrem Genus nach dem Sexus des Referenten [...]
Beispiele:
- die Queen
- die Lady
- die Nanny
- der Cowboy
- der Callboy
- der Sunnyboy
Hier ist das Girl ein Beispiel für eine Konkurrenz mit dem Faktor der semantischen Entsprechung.
2.3. Bedeutungsprinzip
Wörtern aus einer Reihe von semantischen Feldern weisen häufig jeweils das gleiche Genus auf [...] So sind z.B. generische Personenbezeichnungen ohne Bezug auf das natürliche Geschlecht, Jahreszeiten, Monate, Tage; Himmelsrichtungen und alkoholische Getränke maskulin, Bezeichnungen für Blumen feminin, chemische Elemente und Metalle neutral.
Andere semantische Regeln sind, dass Musikstile (Blues, Hiphop, Jazz.
Pop etc.) maskulin sind, sowie Autotypen (Jeep, Minivan, Rolls, Truck) und alkoholische Getränke (Cocktail, Drink, Whisky).
[...] generische Personenbezeichnungen werden [...] zu Maskulin.
Beispiele:
- der Bodyguard
- der Comedian
- der Darling
- der Tennis-Crack
- der DJ
2.4. Leitwortprinzip
[...] ein entlehnter Artbegriff erhält das Genus des deutschen Gattungsbegriffs.
Beispiele:
- der Charleston, der Disco-Fox, zu der Tanz
- das Boxcalf, zu das Leder
3. Default-Geschlecht
Die meisten Anglizismen, die unter keine der anderen Kriterien fallen, erhalten männliches Geschlecht.
Darunter sind eine Reihe von Nomina, die durch Konversion aus Verben entstanden sind. Hierzu bemerkt Onysko: „they have lost the verbal processual meaning and denote bounded events or states”. Damit drücken sie individuative, konkrete Konzepte aus und fallen daher in die Klasse der maskulinen Nomina.
Es liegt in der Natur der Definition dieses Kriteriums, dass man nie ganz sicher sein kann, ob nicht ein anderer, verdeckter und bisher unerkannter Faktor ausschlaggebend ist. Beispiele für Default-Maskulinum könnten sein: