Auf Belles Lettres gibt es einen ausführlichen Artikel, der eigentlich Gendersprech behandelt, aber auch die Geschichte der Genusverteilung anschneidet.
Der erste wichtige Anhaltspunkt: Die scheinbar unlogische Genusverteilung ist dem Urindogermanischen entsprungen. Deswegen »leiden« alle Sprachen, die daraus entstanden sind, unter einer unklaren Genusverteilung. (Die Sonne, der Mond, le soleil, la lune?) Und schon mit der Entstehung der grammatikalischen Geschlechter wurde sie angelegt.
Als erster »Baustein« kam ein Subjektmarkierungspartikel in Gebrauch: ein -s, das an das Subjekt eines Satzes angehängt wurde, und das sich noch im Nominativ griechischer und römischer maskuliner Substantive findet. (Im Germanischen ist es üblicherweise geschwunden.)
Als zweiter Baustein trat später ein Partikel -m hinzu, das wohl zunächst an Verbwurzeln angehängt wurde, und das Ergebnis einer Handlung bezeichnete. Auf Belles Lettres findet sich das Beispiel jeug (anschirren) und jugóm (angeschirrt, das Geschirrte). Da diese -m-Wörter grundsätzlich nur als Patiens (Objekt) auftraten, übertrug sich das -m auch auf -s-Wörter, wenn sie denn mal im Objekt auftauchten (amicus → amicum). Später wurden damit auch Gegenstände bezeichnet (hier: das Joch), und da diese plötzlich auch im Subjekt stehen konnten, markierte es die Geburt des ersten vom Standardgenus verschiedenen Genus: des Neutrums. Daraus lässt sich freundlicherweise ableiten, dass in allen indogermanischen Sprachen sächliche Wörter im Nominativ und im Akkusativ die gleiche Form haben.
Dass dieser Schritt evolutionär der erste gewesen sein muss, ergibt sich daraus, dass Sprachen wie das Hethitische, die sich sehr früh vom Indogermanischen abgespalten haben, nur Standardgenus und Neutrum kennen.
Das Femininum bildete sich später im Umweg über den Plural. Ursprünglich erforderte der Plural eines Wortes wohl noch eine Singularverbform. Man könnte sagen, dass Plurale als Kollektiv gedeutet wurden. Daraus entwickelten sich »normale« Pluralformen, die als viele Einzelteile gesehen wurden und die nach und nach forderten, dass das zugehörige Verb eine Pluralmarkierung erhielt, und »kollektive« Formen, die irgendwann als Singular gedeutet wurden (denn Pluralwörter erforderten ja nun ihre Pluralverbform). Der indogermanische Pluralmarkierer war oft -a und so sind im Lateinischen und Griechischen viele Wörter auf -a aus Pluralformen abgeleitete Abstrakta: demokratia (die Demokratie) oder anima (die Seele).
Jetzt fehlen uns noch Adjektive. Im frühen Indogermanischen wurde zwischen Substantiven und Adjektiven noch nicht unterschieden; man sprach von »einem Freund, einem guten«. In relativ unkomplexen Umgebungen führt das dann dazu, dass das sich entwickelnde Adjektiv zunächst die gleiche Endung wie das dazugehörige Substantiv erhält: eine schöne Blume (das -e ist durch Lautwandlung aus dem indogermanischen -a entstanden).
Und nun müssen wir alle Fragmente zusammenfügen:
Sächliche Formen waren schon immer formgleich in Nominativ und Akkusativ.
Weibliche Formen sind aus einem Pluralmarkierer entstanden; auch hier gibt es keinen grammatikalischen Grund für unterschiedliche Formen.
Bei männlichen Formen ist die Akkusativform ursprünglich vom Neutrum geborgt worden. Sie gehört also eigentlich gar nicht dem maskulinen Nomen, sondern ist analog zum neutralen gebildet worden. Die maskuline Subjektform, der Nominativ, ist nämlich aus einer anderen Markierung (der Standardgenus-Subjektmarkierung) entstanden.
Obiges kann in dieser Strenge natürlich erst einmal nur für indogermanische Sprachen gelten. Es könnte sein, dass nichtindogermanische Sprachen durchaus in allen ihnen gegebenen grammatikalischen Geschlechtern zwischen Nominativ (oder vielleicht besser: Subjektfall) und Akkusativ (oder vielleicht besser: Objektfall) unterscheiden. Ich kann darüber keine Aussage treffen, denn die einzigen nichtindogermanischen Sprachen, die ich spreche oder radebreche, kennen keine Genera (und die Hälfte davon noch nicht einmal Kasus).