Das tut er, weil er hier von einer Annahme spricht. Hier derselbe Satz mit weniger Ballast:
Es scheint mir, daß die Beobachtungen verständlich erscheinen unter der Annahme, daß die Energie diskontinuierlich verteilt sei.
Er will damit explizit ausdrücken, dass unklar ist, wie die Energie tatsächlich verteilt ist. Wenn man aber annimmt, sie sei diskontinuierlich verteilt, würde das als eine mögliche Erklärung für die genannte Beobachtung taugen. Weil aber nicht auszuschließen ist, dass auch andere Ursachen die Beobachtung ebenfalls erklären könnten, ist dieser Zusammenhang noch lange kein Beweis für die diskontinuierliche Verteilung der Energie. Diese Verteilung ist (im Kontext des vorliegenden Textes) nichts weiter als eine unbewiesene Hypothese. (Tatsächlich ist inzwischen längst bewiesen, dass diese Annahme korrekt ist.)
Reaktion auf Kommentare:
In einem Kommentar wurde gefragt, warum Einstein nicht den Konjunktiv II gewählt hat. Der Irrealis wird verwendet, um auszudrücken, dass etwas nicht real ist, er wird also verwendet um zu kennzeichnen, dass man von einer Möglichkeit spricht, von der bekannt ist, dass sie unter keinen Umständen eintreten kann. Der Konjunktiv II wird im Deutschen manchmal auch »Irrealis« genannt. Irrealis und Konjunktiv sind in einigen Sprachen (z.B. Türkisch) zwei verschiedene Modi. Im Deutschen wird der Konjunktiv II verwendet, um den Irrealis auszudrücken:
-
Wenn Otto hier wäre, bekäme er jetzt eines der neuen Bücher.
Aber Otto ist nicht hier: Ottos Anwesenheit ist ein irrealer Zustand. Daher ist der Konjunktiv II zu verwenden.
Aber Otto ist nicht hier: Ottos Anwesenheit ist ein irrealer Zustand. Daher ist der Konjunktiv II zu verwenden.
Der gekürzte Satz von Einstein sähe mit Konjunktiv II so aus:
Es scheint mir, daß die Beobachtungen verständlich erscheinen unter der Annahme, daß die Energie diskontinuierlich verteilt wäre.
Der fett hervorgehobene Teil drückt aus, dass es unmöglich sein kann, dass die Energie diskontinuierlich verteilt ist. Hätte Einstein den Konjunktiv II gewählt, hätte er damit genau das Gegenteil von dem gesagt, worauf er eigentlich hinaus wollte. Die Bedeutung des fett hervorgehobenen Teils (eine diskontinuierleiche Energieverteilung ist unmöglich) kollidiert hier sogar mit dem vorderen Teil des Satzes (man versteht die Beobachtungen).
Da stellt sich dann natürlich auch gleich die Frage, warum Einstein nicht gleich den Indikativ verwendet hat:
Es scheint mir, daß die Beobachtungen verständlich erscheinen unter der Annahme, daß die Energie diskontinuierlich verteilt ist.
Der Indikativ drückt aber eine Tatsache aus. Der Indikativ wäre richtig gewesen, wenn es schon stichfeste Beweise dafür gegeben hätte, dass die Energie tatsächlich diskontinuierlich verteilt ist. Das war aber nicht der Fall. Diese Art der Verteilung stand im Kontext des einsteinschen Aufsatzes nur als vorerst unbewiesene Hypothese zur Diskussion. Der Indikativ wäre also genauso falsch gewesen wie der Konjunktiv II.