User34107 vertritt in seiner Antwort die durchaus plausibel klingende These, »pythagoreisch« wäre ein Anglizismus, und »pythagoräisch« wäre in Wahrheit die ursprüngliche und häufigere Form. Das dachte ich zuerst auch, aber meine Recherchen haben ergeben, dass das wohl eher nicht der Fall ist (siehe weiter unten).
Er hat aber ein Wortpaar gefunden, dessen Ableitung nach demselben Schema verläuft:
- Pythagoras → pythagoräisch
- Europa → europäisch
Ich habe nach weiteren solchen Beispielen gesucht. In meiner persönlichen Wörter-Datenbank finde ich neben vielen Zusammensetzungen (osteuropäisch, neuhebräisch) aber sonst nur diese Adjektive, die auf »-äisch« enden (häufige zuerst, seltene am Ende der Liste):
hebräisch, aramäisch, chaldäisch, ptolemäisch, pharisäisch, kanaanäisch, trochäisch, archäisch, alkäisch, pygmäisch
Das sind die Begriffe, von denen sich diese Adjektive ableiten (in derselben Reihenfolge):
Die Hebräer, die Aramäer, die Chaldäer, Ptolemäus bzw. die Ptolemäer, die Pharisäer, die Kanaanäer, ein Trochäus, das Archäikum, Alkaios, die Pygmäen
In dieser Liste gibt es nur einen Eigennamen, bei dem aus einem a ein ä wird (in allen anderen Fällen bleibt ein bereits vorhandenes ä erhalten):
- Alkaios (ein Dichter des antiken Griechenland) → alkäisch (Bezeichnung einer antiken Strophenform)
Hier ist das a aber nicht mehr in der Endsilbe. Beim Bilden des Adjektivs bleibt einem also nichts anderes übrig, als daraus »alkaisch« oder »alkäisch«. Warum sich »alkäisch« gegenüber »alkaisch« durchgesetzt hat, weiß ich aber nicht.
Die Liste (Pythagoras, Europa) scheint also vollständig zu sein.
Ich habe auch nach Adjektiven gesucht, die auf »-eisch« enden, und habe außer »pythagoreisch« (und »unterseeisch«, das aber aus anderen Gründen nicht dazu passt) noch das gefunden (ebenfalls nach Häufigkeit sortiert):
eritreisch, guineisch, augusteisch, galileisch, prometheisch, epikureisch, proteisch, mediceisch, hyperboreisch, odysseisch, priapeisch
Die dazugehörigen Grundwörter:
Eritrea, Guinea, Augustus, Galileo, Prometheus, Epikur, Proteus, die Medici, Hyperborea (ein mythisches Land nördlich des Polarkreises), Odysseus und Priapos.
Zwei Dinge fallen auf:
- Alle drei Grundwörter in dieser Liste, die in der Endsilbe ein a enthalten (Eritrea, Guinea, Hyperborea), enden auf »-ea«, wobei das a bei der Bildung des Adjektivs abfällt und nur mehr das e (aus dem dann aber kein ä mehr werden kann) im Adjektiv erhalten bleibt.
- Alle Eigennamen, die weder ein a noch ein e oder ein ä in der Endsilbe enthalten, werden zu einem Adjektiv, das auf »-eisch« endet. (Augustus, Epikur, die Medici, Priapos)
Somit drängt sich der Verdacht auf, dass die Endung »-eisch« die bevorzugte Variante ist, während »-äisch« nur genommen wird, wenn es nicht anders geht.
Das müsste aber bedeuten, dass (wie der Fragesteller behautet hat) die Form »pythagoreisch« tatsächlich häufiger sein müsste als »pythagoräisch«.
Das kann ein Google Ngram gut klären:
Ngram »pythagoreisch« »pythagoräisch«
Das ist tatsächlich der Fall, und zwar schon seit mindestens rund 180 Jahren (mit einem kurzen Ausreißer während des 2. Weltkrieges, wo es offenbar opportun war, »pythagoräisch« den Vorzug zugeben).
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei häufig verwendeten Beugungen:
Ngram »pythagoreische« »pythagoräische«
Sowie:
Ngram »pythagoreisches« »pythagoräisches«
Die Form mit e ist im Schnitt ca. 3- bis 5-mal häufiger als die Form mit ä, und das seit mindestens der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die Behauptung, »pythagoräisch« wäre die häufigere Form, stimmt also nicht, und auch die Behauptung, »pythagoreisch« wäre ein Anglizismus, gerät damit gehörig ins Wanken, denn die meisten Anglizismen traten erst nach 1945 in den deutschen Sprachraum ein.
Ich glaube daher folgendes:
Wenn aus einem Eigennamen ein Adjektiv abgeleitet wird, das auf »-eisch« oder »-äisch« enden soll, dann ist »-eisch« immer die erste Wahl. Die Variante »-äisch« wird nur verwendet, wenn bereits der Eigenname ein ä enthält.
Daher muss aus »Pythagoras« das Adjektiv »pythagoreisch« werden.
(Auch die »Pythagoreer« entstehen nach demselben Mechanismus.)
Warum es neben »pythagoreisch« und »Pythagoreer« auch noch die Nebenformen »pythagoräisch« und »Pythagoräer« gibt, ist nicht ganz klar. Vermutlich liegt das daran, dass diese genannten Ableitungen viel seltener Vorkommen als die von Fragesteller genannten Umlautungen (Apfel → Äpfel), und dass hier dieser Umlautungsmechanismus angewendet wurde, obwohl er hier eigentlich fehl am Platz ist.
Offenbar gab es in den letzten rund 200 Jahren aber immer genügend Menschen, die »pythagoräisch« und »Pythagoräer« für richtig hielten, so dass sich diese Schreibweisen als Nebenformen etablieren konnten.