Ursprünglicher Präteritumstamm mit u
Die Formen stürbe/hülfe widersprechen nur scheinbar der Regel, dass der Konjunktiv präteritum sich aus der umgelauteten Präteritumform bildet. Die älteren Sprachstufen unterschieden nämlich zwei verschiedene Präteritumsstämme. In der dritten Ablautreihe, zu der Wörter wie finden, singen, helfen, sterben, werden usw. gehören, gab es einerseits einen Präteritumstamm mit a (z.B. ich fand/sang/half/starb) und einen Präteritumstamm mit u (z.B. wir funden/sungen/hulfen/sturben).
Im modernen Neuhochdeutsch hat ein Ausgleich stattgefunden, normalerweise zugunsten des Präteritumstamms mit a (vgl. wir fanden/sangen/halfen/starben), gelegentlich abar auch zugunsten des Präteritumstamms mit u (vgl. ich wurde – neben der archaischen Reliktform (ich) ward, in der sich ein Rest der alten Zweiformigkeit erhalten hat).
Der Konjunktiv präteritum ist ursprünglich immer aus dem Präteritumstamm mit u gebildet worden. Die Formen stürbe/hülfe usw. sind also ganz regelmässig umgelautet aus (wir) sturben/hulfen – genau so wie würde aus (wir) wurden.
Homophonievermeidung
Die Formen stürbe und hülfe sind im Unterschied zu anderen Formen wie *sünge/bünde bis heute erhalten geblieben. Dies liegt wohl daran, dass die umgelauteten Formen des Präteritumstamms mit a genau gleich ausgesprochen wird wie die Formen im Präsens indikativ. Die Formen (wir) stärben/hälfen und (wir) sterben/helfen unterscheiden sich in der Aussprache nicht, wohl aber die Formen (wir) stürben/hülfen. Im Indikativ kennt die moderne Sprache nur den Präteritumstamm mit a (vgl. wir starben/halfen), doch im Konjunktiv hat sich zur Homophonievermeidung der Präteritumstamms mit u als Umlaut erhalten (vgl. stürbe/hülfe).
Anders verhält es sich bei den Formen (wir) bänden/sängen, die regelhaft aus dem modernen Präteritumstamm mit a gebildet sind. Sie unterscheiden sich in der Aussprache von den Formen (wir) binden/singen. Daher gab es keinen Grund zur Beibehaltung von Formen wie *sünge/bünde.
Ohne entsprechende Indikativ-Formen mit u stehen die Formen hülfe/stürbe allerdings auf wackeligen Füssen. Es fehlt ihnen gewissermassen der Rückhalt in einem nicht umgelauteten Pendant des Präteritumstamms mit u. Daher ist es verständlich, dass sie in Konkurrenz stehen zu den Formen hälfe/stärbe, die sich regelhaft aus dem modernen Präteritumstamm mit a bilden – so wie die Formen sänge/bände usw.
Geschriebene Sprache
Bei den regelhaften Formen hälfe/stärbe spielt die Homophonie mit dem Indikativ präsens (helfe/sterbe) offensichtlich keine Rolle. Dies dürfte ein Hinweis darauf sein, dass die Entwicklung dieser Formen nicht mehr in der gesprochenen Sprache stattfindet, sondern in der geschriebenen. In der gesprochenen Sprache klingen (ich) hülfe/stürbe altertümlich und absurd, (ich) hälfe/stärbe hingegen missverständlich – man sagt vielmehr (ich) würde helfen/würde sterben. In der geschriebnen Sprache hingegen macht sich das Altertümliche weniger bemerkbar, und die Missverständlichkeit besteht überhaupt nicht.