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Ich habe mehrmals gelesen und mir immer gedacht, dass sich die Formen des Konjunktiv II an den Formen des Präteritum orientieren müssten.

Bei regelmäßigen Verben ist kein Unterschied zu merken. Zum Beispiel: beim Verb kaufen haben wir die Form ich kaufte sowohl im Präteritum als auch im Konjuntiv II (was übrigens auch ein Grund dafür wäre, dass man beim Konjunktiv II eher die zusammengesetzte Form ich würde kaufen bevorzugt).

Bei unregelmäßigen Verben dagegen findet man einen Unterschied zwischen den Formen. Zumindest an der Endung (z. B.: beim Verb schreiben: ich schrieb vs. ich schriebe), aber sehr oft auch am Umlaut, wenn der Vokal überhaupt einen Umlaut bekommen kann: ich gab vs. ich gäbe; ich war vs. ich wäre; ich bot vs. ich böte; ich fuhr vs. ich führe, usw.

Also: soweit ich es verstanden hatte, hätte die Form des Konjuntivs II immer etwas zu tun mit der des Präteritums. Bis gestern hatte ich das so verstanden.

Aber gestern bin ich auf die Form ich stürbe gestoßen. Hätte man mich nach der Form des Konjuntivs II des Verbs sterben gefragt, dann hätte ich ihm ganz sicher und bedenkenlos geantwortet: das Präteritum von der Form ich sterbe ist ich starb; dann muss die Form des Konjuntivs II ich stärbe heißen.

Es scheint aber dass es nicht ganz so einfach ist, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, auf die Form ich stärbe schon irgendwann auch gestoßen zu sein.

Gibt es etwa beide Formen? Und wenn ja, gibt es irgendeinen Unterschied zwischen ihnen?

4 Answers 4

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Ursprünglicher Präteritumstamm mit u

Die Formen stürbe/hülfe widersprechen nur scheinbar der Regel, dass der Konjunktiv präteritum sich aus der umgelauteten Präteritumform bildet. Die älteren Sprachstufen unterschieden nämlich zwei verschiedene Präteritumsstämme. In der dritten Ablautreihe, zu der Wörter wie finden, singen, helfen, sterben, werden usw. gehören, gab es einerseits einen Präteritumstamm mit a (z.B. ich fand/sang/half/starb) und einen Präteritumstamm mit u (z.B. wir funden/sungen/hulfen/sturben).

Im modernen Neuhochdeutsch hat ein Ausgleich stattgefunden, normalerweise zugunsten des Präteritumstamms mit a (vgl. wir fanden/sangen/halfen/starben), gelegentlich abar auch zugunsten des Präteritumstamms mit u (vgl. ich wurde – neben der archaischen Reliktform (ich) ward, in der sich ein Rest der alten Zweiformigkeit erhalten hat).

Der Konjunktiv präteritum ist ursprünglich immer aus dem Präteritumstamm mit u gebildet worden. Die Formen stürbe/hülfe usw. sind also ganz regelmässig umgelautet aus (wir) sturben/hulfen – genau so wie würde aus (wir) wurden.

Homophonievermeidung

Die Formen stürbe und hülfe sind im Unterschied zu anderen Formen wie ‌*sünge/bünde bis heute erhalten geblieben. Dies liegt wohl daran, dass die umgelauteten Formen des Präteritumstamms mit a genau gleich ausgesprochen wird wie die Formen im Präsens indikativ. Die Formen (wir) stärben/hälfen und (wir) sterben/helfen unterscheiden sich in der Aussprache nicht, wohl aber die Formen (wir) stürben/hülfen. Im Indikativ kennt die moderne Sprache nur den Präteritumstamm mit a (vgl. wir starben/halfen), doch im Konjunktiv hat sich zur Homophonievermeidung der Präteritumstamms mit u als Umlaut erhalten (vgl. stürbe/hülfe).

Anders verhält es sich bei den Formen (wir) bänden/sängen, die regelhaft aus dem modernen Präteritumstamm mit a gebildet sind. Sie unterscheiden sich in der Aussprache von den Formen (wir) binden/singen. Daher gab es keinen Grund zur Beibehaltung von Formen wie ‌*sünge/bünde.

Ohne entsprechende Indikativ-Formen mit u stehen die Formen hülfe/stürbe allerdings auf wackeligen Füssen. Es fehlt ihnen gewissermassen der Rückhalt in einem nicht umgelauteten Pendant des Präteritumstamms mit u. Daher ist es verständlich, dass sie in Konkurrenz stehen zu den Formen hälfe/stärbe, die sich regelhaft aus dem modernen Präteritumstamm mit a bilden – so wie die Formen sänge/bände usw.

Geschriebene Sprache

Bei den regelhaften Formen hälfe/stärbe spielt die Homophonie mit dem Indikativ präsens (helfe/sterbe) offensichtlich keine Rolle. Dies dürfte ein Hinweis darauf sein, dass die Entwicklung dieser Formen nicht mehr in der gesprochenen Sprache stattfindet, sondern in der geschriebenen. In der gesprochenen Sprache klingen (ich) hülfe/stürbe altertümlich und absurd, (ich) hälfe/stärbe hingegen missverständlich – man sagt vielmehr (ich) würde helfen/würde sterben. In der geschriebnen Sprache hingegen macht sich das Altertümliche weniger bemerkbar, und die Missverständlichkeit besteht überhaupt nicht.

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    Großartige Antwort! Commented Oct 20, 2016 at 20:29
  • Auf den Unterschied Singular/Plural bis ins frühe Neuhochdeutsche wollte ich auch schon hinweisen, aber es ist viel besser, wenn das jemand tut, der tatsächlich weiß, wovon er schreibt ;)
    – Carsten S
    Commented Oct 20, 2016 at 22:14
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Es sind zumindest theoretisch beide Formen denkbar, aber »stürbe« ist weitaus häufiger als »stärbe«, wie dieses Ngram zeigt:

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Man sieht, dass beide Konjunktiv-Varianten mit der Zeit immer seltener verwendet werden, man sieht aber auch, dass »stärbe« verglichen mit »stürbe« so gut wie nicht vorhanden ist. Wenn man nämlich »stürbe« aus dem Ngram entfernt, kommt das heraus (Vergleiche die Skalierung der Y-Achse, im oberen Bild ist der höchste Wert 0,000550 mit 3 Nullen vor der ersten signifikanten Ziffer, im zweiten Bild 0,0000220 mit 4 Nullen, das zweite Bild ist also entlang der Y-Achse um das 25-fache vergrößert):

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Wenn man sich auf die Zeit nach 1950 beschränkt, erhält man ein Ngram, das ein klareres Bild der gegenwärtigen Verhältnisse zeigt:

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Nur »stärbe« ohne »stürbe«:

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In der halbwegs gegenwärtigen Zeit hat »stärbe« im Jahr 1995 eine maximale Häufigkeit von 0,00000011%. Das heißt: Unter 909 Millionen Wörtern, die 1995 in Büchern gedruckt wurden, ist genau eines »stärbe«.

»Stürbe« trat 1995 mit einer Häufigkeit von 0,000014% auf, es war also eines von 7,14 Millionen Wörtern, und damit 127-mal häufiger als »stärbe«. In jedem anderen Jahr der letzen 60 Jahre ist das Verhältnis noch extremer.

Bei diesem Verhältnis kann man durchaus davon ausgehen, dass die wenigen Fälle, in denen »stärbe« verwendet wurde, auf einen Fehler zurückzuführen sind. Man kann also sagen, dass nur »stürbe« die richtige Form ist, und dass »stärbe« falsch ist.

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Konjunktiv II ist eine selten verwendete Form, bei der sich deswegen viele schwer tun.

Im Falle von "sterben" sind sich auch viele Wörterbücher nicht sicher, man findet sowohl "stürbe" als auch (seltener) "stärbe".

Wobei genaugenommen hälfe (statt hülfe), stärbe (statt stürbe), stände (statt stünde) usw. von Deutsch-Puristen als falsch betrachtet wird (Diese drei Beispiele widerlegen übrigens auch alle schön deine "Präteritum"-These). Duden sagt "stürbe", dict.cc "stärbe", Die-Konjugation.de nennt zur Sicherheit beide Formen, Wikipedia meint "stürbe" und irgendwo habe ich eine Tabelle gefunden, die sich in ihrer Not mit "würde sterben" behalf.

Bei "helfen" und "stehen" befindet sich die Mauer der Puristen zugegebenermaßen schon in Auflösung - Dort hat die "a"-Form schon größtenteils den Weg in die Wörterbücher als erlaubte Alternative gefunden. Möglicherweise macht "sterben" gerade dieselbe Entwicklung durch.

Ich persönlich glaube, die richtige Form war schon immer (noch, das mag sich möglicherweise in Bewegung befinden) stürbe.

Wie immer, wenn sich Wörterbücher nicht einigen können, hilft ngrams, hier mit einer (ziemlich) eindeutigen Antwort (man beachte den gelben Kasten):

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  • It's also interesting to note that the usage of sterben würde appears to cross stürbe at about 1995, and then almost doubles in 2010. I've also read that many more prefer the würde form nowadays, as forms like hülfe and stürbe become old-fashioned. By the way, you can check the "case-insensitive" box so that you don't need to type both the capital and lowercase forms. Commented Oct 20, 2016 at 9:00
  • @SkeletonBow I wouldn't necessarily say the "Hilfskonjunktiv" using würde is replacing something "old-fashioned". It's just much simpler to use and doesn't involve any learning. And nowadays it's allowed. When I was in school, this was still considered "wrong" and earned you bad credits... - And what you see in the ngrams is the result of ticking "case-intensitive" ;)
    – tofro
    Commented Oct 20, 2016 at 9:25
  • Really? That's interesting! It didn't say that in the book I learned about it from :) but it's good to know the different perspectives, so thank you for that! I usually can... impress people when I use stürbe, anyway, so I guess I'll use that (formally, anyway). And I see, it said "stürbe (All)" for me :) Commented Oct 20, 2016 at 10:07
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Ja, es gibt beide Formen. Beim Konjunktiv Präteritum gibt es immer wieder konkurrierende Formen, vor allem mit ö/ä (begönne/begänne, rönne/ränne, schwömme/schwämme), aber eben auch ü/ä (stünde/stände).

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