Ich bin auf diesen Fachartikel aufmerksam geworden: "Alle sind Deutschland ... außer Fritz Eckenga – der ist einkaufen!" von Svenja König. In Kapitel 8 geht König dort genau auf die in der Frage angesprochene Gruppe "sein / gehen / kommen + Infinitiv" ein.
Die erste Frage beantwortet sie indirekt mit "Nein" - wenn es für die Versionen mit "gehen" und "kommen" eine etablierte grammatikalische Bezeichnung gäbe, müßte sie sie eigentlich benutzen oder zumindest benennen. Tut sie aber nicht.
Zur zweiten Frage, insbesondere zu deren zweitem Teil, paßt diese Passage (S. 60):
Die Besonderheit des Absentivs, die ihn als Konstruktion von den
anderen infinitivregierenden Verben und auch denen des Paradigmas [die sein/gehen/kommen-Gruppe]
abgrenzt, besteht darin, dass sich seine Bedeutung eben nicht aus der
lexikalischen Bedeutung des finiten Verbs erschließen lässt, sondern
nur mit Hinblick auf die grammatische Bedeutung, die dieses in
der Konstruktion erhält. Diese Unmöglichkeit der Ableitung der
Absentivbedeutung aus seinen lexikalischen Bestandteilen ist
genau der Grund dafür, dass absentivisches sein eine
Sonderstellung innerhalb des Paradigmas und generell gegenüber
den anderen Verben, die einen Infinitiv fordern, einnimmt. Während
sich bei der gehen-Konstruktion die absentivische Bedeutung aus den
Komponenten ergibt, indem der im Verb inhärente (Weg-)
Bewegungscharakter von gehen mit einem Verb, welches die beabsichtigte
Tätigkeit beschreibt, kombiniert wird, ergibt sich die Bedeutung von
sein + Infinitiv im Absentiv nicht kompositionell aus seinen
Bestandteilen und kann daher auch nicht erschlossen werden, wenn man
nicht um die Gesamtbedeutung der Konstruktion weiß.
D.h. nach meinem Verständnis, sie befürwortet eine Heraushebung der Konstruktion mit "sein" gegenüber den beiden anderen durch einen eigenen Begriff, weil hier die Bedeutung nicht mehr aus den Wörtern abgeleitet werden könne, sondern auf die grammatikalische Konstruktion übergegangen sei.
Theodor Ickler hingegen widerspricht in dem schon von Grantwalzer angeführten und auch im Wikipedia-Artikel als Referenz angegebenen Artikel Kein „Absentiv“ im Deutschen:
Es ist richtig, diese Verwendung des Verbs sein in die Wörterbücher
aufzunehmen, aber nicht als „absentives sein“. ... Anders als König
meine ich, daß die Konstruktion sich sehr wohl „unter eine andere,
bereits bestehende Konstruktion subsumieren lässt“ (König 2009:65).
Die Bedeutungskomponente der „Abwesenheit“ ist ein vorhersagbarer
Nebeneffekt des finalen Infinitivs in einigen seiner Verwendungen.
Ickler plädiert also für eine Einordnung der Konstruktion (und wohl auch der Varianten mit "kommen" und "gehen") als Abart des "finalen Infinitiv".
Zur Semantik der "sein + Infinitiv"-Konstruktion und damit letztlich zur Frage, ob der Begriff "Absentiv" sinnvoll gewählt ist, gibt es am Anfang von Königs Arbeit längere Betrachtungen - eindeutig bejahend, wie ich meine.
Interessant fand ich hierzu den Einwand von Em1 in seinem Kommentar:
Für mich vermittelt der Satz "Ich bin einkaufen" nicht die Aussage, dass ich mich nicht an einem Ort befinde, sondern wenn schon, dass ich mich an einem Ort befinde.
Zunächst ist dieser Satz offenbar nach manchen Quellen per Definition kein Absentiv, denn Ickler schreibt:
Abraham legt die Konstruktion definitorisch auf „Abwesenheit“ fest und schließt deshalb die erste und zweite Person aus, weil Sprecher und Hörer nicht außerhalb der Kommunikationssituation sein können. Wenn man aber die Konstruktion „Subjekt + Verb sein (finit) + Handlungsverb (Infinitiv)“ unvoreingenommen untersuchen will, darf man sich nicht auf jene Verwendungsweisen beschränken, die einer vorgefaßten Ansicht über ihre Funktion entsprechen.
Auch König wendet sich gegen diese Einschränkung (zitiert nach Ickler, der dafür keine Quelle nennt):
In der heutigen Zeit ist aber dank moderner Kommunikationsmittel vieles möglich, auch ein Absentiv in der ersten Person im Präsens. Der Satz Ich bin einkaufen klingt als Antwort auf die Frage „Wo bist du?“ übers Handy ganz passabel. Während ich dies sage, bin ich im Normalfall für die Person am anderen Ende der Telefonverbindung abwesend.
Desweiteren schreibt König auf S. 42 (das verlinkte Dokument beginnt mit S. 41!):
Beim Topikort handelt es sich typischerweise um einen Ort, an dem die fragliche Person normalerweise anzutreffen ist bzw. an welchem ihre
Anwesenheit innnerhalb des Diskurses zu erwarten ist. Der Topikort ist in jedem Fall verschieden vom
Absentivort, an dem das absentivische Ereignis stattfindet.
Ickler bemerkt dazu:
Damit wird immerhin Vogels Festlegung auf das „deiktische Zentrum“, also wohl den Ort des Gesprächs (so versteht es auch Abraham: „the speaker's place“), relativiert – eine, wie sich zeigen wird, notwendige Korrektur.
Mir fällt dabei noch auf, daß in diesem Beispiel zwar durchaus die Abwesenheit aus Sicht des Anrufers gegeben ist, die Definition für Topikort nach König hingegen eher nicht zutrifft: man kann in dieser Situation dem Anrufer im Allgemeinen nicht eine bestimmte Erwartung hinsichtlich des Aufenthaltsortes des Subjektes unterstellen. Ich fände das reparabel, wenn König "typischerweise" statt "in jedem Fall" schreiben würde oder den Fall eines unbekannten Topikortes mit aufnähme. Die Referenz auf "Abwesenheit" im Begriff des Absentivs träfe dann immer noch auf viele Anwendungen der Konstruktion zu und ist m.E. hilfreich, das Konzept zu erklären. Möglicherweise trifft sie aber tatsächlich nicht die "Essenz" der Aussagen. Jedenfalls kritisiert Ickler:
Zwar implizieren alle Beispiele, daß der Betreffende sich anderswohin begeben hat, um die genannte Tätigkeit auszuüben, aber die Abwesenheit ist nicht der eigentliche Inhalt der Aussage.
Er sieht den eigentlichen Kern in der Angabe von Ziel und Zweck einer Handlung und plädiert deshalb, wie schon geschrieben, für die Einordnung als "finaler Infinitiv".
Ist [...] wirklich sinnvoll?
kann als "primarily opinion based" abgetan werden. Könntet ihr zumindest begründen, warum diese (oder überhaupt eine) Bezeichnung ungeeignet ist?