Oft wird im Deutschen angenommen, dass Sätze – wie im Englischen – ein Subjekt bräuchten, um vollständig zu sein. Das ist aber nicht der Fall. Neben den Imperativen (bei denen man argumentieren kann, dass das Subjekt du oder ihr im Verb eingebaut sei) betrifft das vor allem Sätze im Passiv, bei denen der entsprechende Aktivsatz kein Akkusativobjekt hat.
Grundsätzlich wird das Passiv gebildet, indem Subjekt und Akkusativobjekt des Aktivsatzes die grammatikalischen Funktionen tauschen: aus dem ehemaligen Akkusativobjekt wird das neue Subjekt, das ehemalige Subjekt wird zu einem Präpositionalobjekt. In vielen Sprachen lassen sich daher nur solche Sätze ins Passiv setzen, die auch ein Akkusativobjekt haben (zum Beispiel im Englischen oder Französischen).
Im Deutschen kann prinzipiell jeder Satz ins Passiv gesetzt werden, auch wenn dieser kein Akkusativobjekt hat. Ist keines Vorhanden, so gibt es im Passivsatz keinen Bestandteil, der die Rolle des Subjektes übernehmen könnte; diese bleibt unausgefüllt. Dein Beispielsatz ist einer dieser Sätze. Im Aktiv hätte er lauten können:
Im nächsten Kapitel gehe ich näher auf die philosophischen und historischen Hintergründe dieses Phänomens ein.
Verbklammer und Subjekt des Aktivsatzes habe ich fett hervorgehoben. Darüberhinaus enthält er eine Adverbiale des Ortes, eine der Art und Weise und ein Präpositionalobjekt mit auf. Wir erkennen: Kein Akkusativobjekt. Folglich bleibt die Position des Subjekts unausgefüllt:
Im nächsten Kapitel{Adv. Ort} wird näher{Adv. Art} auf die philosophischen und historischen Hintergründe dieses Phänomens{PräpObj.} eingegangen.
Stilistisch dient der subjektlose Passivsatz – oder besser: Der Passivsatz im Allgemeinen – dazu, den Urheber einer Handlung in den Hintergrund zu stellen, um etwas anderes, wichtigeres hervorzuheben. In deinem Beispiel ist die Person des Autors, die in den nächsten Kapiteln auf etwas eingeht, völlig irrelevant und daher zurecht durch Umformung weggelassen. Wichtig ist stattdessen dass und wo auf die Hintergründe eingegangen wird.
Man könnte nun argumentieren, dass man den Satz – wie jeden Satz im Deutschen – umstellen könnte und dabei alle Satzglieder zwischen die Teile der Verbklammer setzen könnte. Das ist in der Tat möglich, deutscher Satzbau verlangt allerdings dass ein Satzbestandteil (üblicherweise ein besonders zu betonender) vor das finite Verb gestellt werden muss. Um das zu bewerkstelligen, kann das Wörtchen es eingesetzt werden. Es scheint sich dabei – wie in diesem Satz, der mit »es scheint« beginnt – um ein Personalpronomen der 3. Person Singular, Neutrum zu handeln. Tatsächlich handelt es sich aber lediglich um ein sogenanntes Expletiv: Ein Wörtchen, das nur dazu dient eine sonst unbesetzt bleibende Stelle im Satz zu besetzen.
Es wird im nächsten Kapitel näher auf die philosophischen und historischen Hintergründe dieses Phänomens eingegangen.
Dass es sich bei dem eingefügten Es nicht um ein tatsächliches Subjekt handelt, lässt sich an mehreren seiner Eigenschaften festmachen:
Sobald ich mich entscheide, ein anderes Satzglied in das Vorfeld zu ziehen, verschwindet das Es als sei es nie da gewesen. Hier zwei Sätze zum Vergleich:
- Es scheint sich um ein Subjekt zu handeln.
- Um ein Subjekt scheint es sich zu handeln.
- Es wird im nächsten Kapitel darauf eingegangen.
- Darauf wird im nächsten Kapitel eingegangen.
Ebenfalls verschwindet das Es – im Gegensatz zu solchen Es, die ein wahrhaftiges Subjekt darstellen – in Nebensätzen, da diese kein Vorfeld haben, das es zu füllen gälte:
- Es scheint sich um ein Subjekt zu handeln.
- Er sagt, dass es sich um ein Subjekt zu handeln scheint.
- Es wird im nächsten Kapitel darauf eingegangen.
- Ich sagte doch, dass im nächsten Kapitel darauf eingegangen wird.
Am wichtigsten wiegt jedoch die Tatsache, dass das Es keine Funktion im Satz bekommt, wenn man ihn vom Passiv zurück ins Aktiv setzt. Es kann schließlich keine Form bekommen, es hat ja keine.
- Es wird eröffnet.
- Ich eröffne es.
- Es wird darauf eingegangen.
- Ich gehe darauf ein.
Wir merken: Passivsätze können im Deutschen tatsächlich völlig subjektlos sein.