Das Wort apokryph wird vom Duden hier recht dämlich erklärt, aber auch DWDS macht es nicht besser, denn beide beschreiben das Wort nur unzureichend in seiner Bedeutung.
Apokryphen (auch apokryphe Schriften; altgr. ἀπόκρυφος apokryphos ,verborgen‘, ‚dunkel‘; Plural ἀπόκρυφα apokrypha) sind religiöse Schriften jüdischer bzw. christlicher Herkunft aus der Zeit zwischen etwa 200 vor und 400 nach Christus, die nicht in einen biblischen Kanon aufgenommen wurden oder über deren Zugehörigkeit Uneinigkeit besteht, sei es aus inhaltlichen oder religionspolitischen Gründen, oder weil sie erst nach Abschluss des Kanons entstanden sind oder zur Zeit seiner Entstehung nicht allgemein bekannt waren.
Vom griechischen kommend vertritt der Herr Bibelmaskulinist also angeblich entweder verborgene Ansichten, die obendrein nicht anerkannt werden, oder der Beschuldigte zitiert eben gar nicht aus der kanonischen Literatur der Bibel selbst.
Dies würde bedeuten, eine halbwegs 'korrekte' Verwendung des Zitats läge vermutlich vor, mit der Einschränkung, dass zwar biblische Texte aber eben keine keine Bibeltexte als Beleg genutzt werden.
Nun müsste geklärt werden, welche Apokryphen zur genannten Begründung zitiert werden, um die genaue Bedeutung dieses Theologenzitats zu bestimmen. Da diese Art der Exegese Theologen liegt, Ottonormalrednern aber weniger, sollte man schlicht davon ausgehen, dass ein Theologe sowohl Bibelkanonhistorie studiert hat, als auch Griechisch, und daher wohl eher zur etymologisch näherliegenden Bedeutung tendiert, so wie andere Verwender dieses Wortes auch:
Das Adjektiv apokryph bedeutet „nicht anerkannt“, „zweifelhaft“.
Als apokryph wurden zunächst die Apokryphen bezeichnet, also Texte mit christlichen Inhalten, die aber nicht in den Bibelkanon aufgenommen wurden. Inzwischen kann der Begriff auch verwendet werden, um andere Arten von Texten und Aussagen zweifelhaften Ursprungs oder zweifelhaften Inhalts zu beschreiben.
Ursprung ist das altgriechische apokryphos (verborgen).
Bisherige Berichte über IS-Terroristen, die sich unter die syrischen Flüchtlinge mischen, sind apokryph.
Auf seinem Totenbett wurde Niccolö Machiavelli bedrängt, den Teufel und all dessen Werke zu verfluchen „Dies ist nicht der Zeitpunkt, sich Feinde zu machen“, erwiderte er, lehnte sich in sein Kissen zurück und verschied. Der Hergang ist so nicht verbürgt, die Anekdote apokryph.
– Die Zeit (1984), Der Fürst, 1.6.1984 Nr. 23.
Wenn der Adressat dieses Ausspruchs also selbst ein Theologe ist oder als entsprechend gebildeter Mensch anzusehen wäre, könnte eine religiös-theologische, inhaltliche Kritik am Gesagten damit ausgedrückt worden sein.
In Alltagssituationen ohne Vorkenntnisse über den Adressaten scheint die Tendenz eher in Richtung "abwegig, crazy, Minderheitenmeinung, Aussenseiterposition" zu gehen.
Falls im gerade gelesenen Text oder irgendwo auf dieser Seite im Zusammenhang die Wörter wie 'falsch' oder 'richtig' auftauchen, bitte ich um Nachsicht für den ursprünglichen Verwender des Wortes "apokryph": da geht es weniger um diese Dichotomie von richtig oder falsch, sondern darum, ob das was kommuniziert werden soll auch effektiv, also verständlich kommuniziert wurde.
Wenn der Kritisierte seine Meinung mit Stellen aus dem 4. Makkabäerbuch und dem Thomasevangelium herleitet, dann ist die Verwendung von "apokryph" erstmal naheliegend.
Wenn dann diese Ansichten mit offiziellem Dogma der Kirche oder politischer Position des nächstgelgenen Bischofs inkompatibel ist, dann ist "apokryph" 'korrekt' im Sinne von "diese Ansicht ist genauso wenig anerkannt wie Tobit bei den Evangelischen.
Wenn der Theologe meint, die Ansichten des Maskulinisten ließen sich nicht folgerichtig aus den Perikopen ableiten, dann wäre "apokryph" etwas schief verwendet, denn die Ansichten des Kritisierten scheinen offen zu Tage zu liegen. Es wäre aber auch möglich, dass der Kritisierte seine Ansichten eben nur scheinbar offen ausspricht, also ganz gnostisch eine vertiefte Bedeutung damit kommunizieren will (analog zu Whistle words, virtu signalling). Dann wäre apokryph äußerst treffend verwendet, aber recht schwierig auf Anhieb so zu verstehen.
Noch einmal Verwendungsbeispiele:
Mir war das alles lange zu geschmäcklerisch, zu apokryph und auch zu aufgeputzt.
Die Welt, 22.12.2004
Die Künstler nutzen die neue Freiheit und schöpfen ungeniert aus den als häretisch verbotenen apokryphen Quellen.
Die Zeit, 25.12.1992, Nr. 53
In der Praxis sind apokryphe Bildungen und Ausweichmanöver die Folge.
Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, Berlin: Duncker u. Humblot 1964, S. 62
Die apokryphe Überlieferung versteht Joh 20, 27 als Auszeichnung des Apostels, dem es als einzigem gewährt war, den Auferstandenen zu berühren.
Bartsch, H.-W.: Thomas. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1962], S. 8562
Anna-Szenen zurücktreten, wird die G. M. - von apokryphen Stoffen begleitet - weiter dargestellt.
o. A.: Lexikon der Kunst - G. In: Olbrich, Harald (Hg.), Lexikon der Kunst, Berlin: Directmedia Publ. 2001 [1989], S. 1457
Gemäß Duden wäre nur eine einzige Verwendung der genannten Beispiele "richtig". Ich schließe daraus, dass der Duden den Leuten bei weitem nicht genau genug und auch nicht großzügig wie präzise genug auf's Maul geschaut hat.
Es bleibt unklar, was der zitierte Theologe genau gesagt haben will. Die Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn man von einer bewussten und zutreffenden Verwendung auszugehen hat, sind recht zahlreich.
Sofern mit dem Wort "apokryph" die Ansichten als abwegig, crazy, wenig angesehen, selten, Minderheitenmeinung, Aussenseiterposition etc gemeint waren, lautet das Urteil: ja, die besagte Person vertritt "apokryphe" Ansichten!