Ich kann nicht verstehen, warum im folgenden Satz das Verb werden im Plural konjugiert wurde.
Es werden nur noch 12 Wörter jeden Tag sein.
Ich glaube, der Satz bezieht sich auf Futur I und gemäß dem Subjekt es müsste hier wird verwendet werden.
Ich kann nicht verstehen, warum im folgenden Satz das Verb werden im Plural konjugiert wurde.
Es werden nur noch 12 Wörter jeden Tag sein.
Ich glaube, der Satz bezieht sich auf Futur I und gemäß dem Subjekt es müsste hier wird verwendet werden.
Die Frage ist, wonach das finite Verb in einem deutschen Satz sich in Person und Numerus richtet. In fast allen Fällen ist die Antwort: Nach dem Subjekt.
Das Subjekt ist meistens daran zu erkennen, dass es im Satz als Nominativ auftritt. Es gibt jedoch Verben wie die Kopulaverben sein, werden und bleiben, die sich außer dem Subjekt mit einem zweiten Nominativ verbinden können:
Der Walter [Subjekt im Nominativ] ist unser bester Fahrer [Nominativ 2].
Dieser zweite Nominativ wird in den Grammatiken unterschiedlich bezeichnet. In älteren Grammatiken hieß er Prädikatsnomen oder Gleichsetzungsnominativ, heute heißt er bei Wikipedia Prädikativ(um), bei Grammis Prädikativkomplement, in der Duden-Grammatik (1) ebenfalls Prädikativ. Die zuletzt genannten Begriffe sind jedoch Oberbegriffe und bezeichnen eine ganze Klasse von Ausdrücken, in denen unter anderem auch Adjektive, Adverbien und Präpositionalphrasen vorkommen. In der Form von einem Substantiv im Nominativ spricht man von einem prädikativen Nominativ.(2)
Für das angegebene Beispiel heißt das:
Es [Subjekt] werden nur noch 12 Wörter [prädikativer Nominativ] jeden Tag sein.
Erstaunlich ist, dass in diesem Satz das finite Verb werden nicht mit dem Subjekt es, sondern mit dem prädikativen Nominativ 12 Wörter "kongruiert" (= zusammenpasst). Das wäre auch in anderen Zeitformen der Fall:
Es sind 12 Wörter.
Dazu schreibt die Duden-Grammatik von 2006 auf S. 1026:
(Es hat sich) "gezeigt, dass der prädikative Nominativ den Numerus des finiten Verbs mit beeinflusst. Bemerkbar wird dies jeweils, wenn sich Subjekt und prädikativer Nominativ im Numerus unterscheiden. (...) Wo das der Fall ist, steht das finite Verb gewöhnlich im Plural:
(...) [Das] sind [meine einzigen Ferien]. (...) [Welches] sind [seine wichtigsten Erfolge]?"
Es bleibt damit festzuhalten:
Im Deutschen gibt es Sätze, in denen das Verb nicht mit dem Subjekt, sondern mit dem prädikativen Nominativ kongruiert.
Die Struktur wird vielen deutschen Kindern aus Märchen gut bekannt sein, denn einige Märchen fangen nach diesem Muster an:
Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten eine schöne Tochter...
oder in der bekannten Volksliedzeile
Es waren zwei Königskinder / die hatten einander so lieb.
Ein solcher Kongruenz"fehler" betrifft manchmal auch die Personalform:
Der hier ganz links auf dem Foto bin ich.
Da man zwischen Subjekt und prädikativem Nominativ wegen der Kasusgleichheit (beides im Nominativ) nicht klar unterscheiden kann, könnte man einfach den prädikativen Nominativ zum Subjekt umdeklarieren. Das würde jedoch nicht alle Fälle lösen und zudem Deutschlerner dabei beeinträchtigen, eine stabile grammatische Kategorie "prädikativer Nominativ" auszubilden.
Obwohl die genannten Kongruenz-Widersprüche im System stören, sind sie psychologisch verständlich, denn es handelt sich meist um Sätze mit dem "Leer-Subjekt" es als syntaktischem Platzhalter und einem eigentlich inhaltlich gemeinten Quasi-Subjekt, das syntaktisch nur noch als prädikativer Nominativ auftreten kann, da die Subjektrolle schon vergeben ist. Viele derartige Sätze kann man umstellen:
es kamen 10 Leute
10 Leute kamen
so dass auf der syntaktischen Ebene die "natürliche Ordnung" wiederhergestellt ist. Aber die Aussageabsicht der beiden Sätze ist nicht identisch: Im ersten Satz geht es um die Anzahl der Leute, im zweiten darum, dass diese Leute überhaupt kamen und nicht zu Hause blieben oder man hat (sprechsprachlich), mit sehr starker Betonung auf 10 Leute, eine noch stärkere Heraushebung der Personenzahl als im ersten Satz.
(1) Duden. Die Grammatik (= Duden Band 4), Mannheim 2006, S. 798 - (2) ebenda S. 803
Werden bezieht sich auf 12 Wörter. Der Satz sagt aus, dass die 12 Wörter etwas sein werden.
12 Wörter ist Plural, daher die Pluralform des Verbs.
Meine eigentliche Frage ist, Warum in erstem Satz das Verb nicht gemäß dem Subjekt konjugiert wird.
Das Wort sein bezieht sich nicht auf es oder den Tag sondern auf die 12 Wörter. Diese sind Plural, daher steht auch das Verb im Plural.
Beispiel
Ich kann andere Beispiele nennen, in denen diese Regel gilt. Zum Beispiel: Es gibt 12 Wörter.
Es gibt sieht für mich nach einer Sonderform aus. Hier bezieht sich das geben nicht direkt auf die Wörter, sondern auf das es. Nicht die Wörter geben etwas, sondern das Konstrukt Es gibt drückt aus dass das nachfolgend erklärte existiert. Also: Hier sind 12 Wörter.
Die Kopulaverben sein, werden, bleiben verbinden ein Subjekt mit einem (prädikativen) Objekt (üblicherweise Prädikativ oder Prädikativkomplement genannt; zur Terminologie siehe hier). Aufgrund der freien Wortstellung des Deutschen kann das Objekt dem Subjekt vorangehen oder folgen.
Der Schuldige bin ich.
Ich bin der Schuldige.
Wie die Subjekt-Verb-Kongruenz deutlich macht, ist ich in beiden Fällen das Subjekt und der Schuldige das Objekt. Nach der gleichen Logik ist 12 Wörter das Subjekt des Ausgangsbeispiels.
Zur korrekten Interpretation des Objekts es benötigt man wahrscheinlich ein bißchen mehr Kontext. Zum Beispiel:
Bisher haben wir jeden Tag 24 Wörter gelernt. Jetzt werden es nur noch 12 Wörter sein.
Dann ist klar, daß es die Zahl der Wörter, die täglich gelernt werden, bezeichnet.